piwik no script img

Kommentar zum fahrscheinlosen FahrenErfolg als Hindernis

Malene Gürgen
Kommentar von Malene Gürgen

Die Linke hat eine „Öffi-Flatrate“ vorgeschlagen. Der Haken: Würden alle viel mehr Bus und Bahn nutzen, müsste erst das Netz ausgebaut werden.

Egal, welche Linie: noch muss man immer ganz normal bezahlen Foto: dpa

O b 2010, als die Kampagne „Berlin fährt frei“ für fahrscheinloses Fahren warb, 2011, als die Piraten mit dieser Forderung ins Abgeordnetenhaus einzogen, oder jetzt, wo sich die Linkspartei des Themas annehmen will: Vorschläge, den öffentlichen Nahverkehr gemeinschaftlich zu finanzieren, stoßen häufig auf heftige Abwehrreaktionen. Für etwas zahlen, das ich gar nicht nutze: Das ist schwer vermittelbar, egal wie zentral dieses Prinzip an anderer Stelle von der Krankenversicherung bis zur Mehrwertsteuer ist.

Dabei liegen die Vorteile so einer Finanzierung auf der Hand: Der öffentliche Nahverkehr würde attraktiver, der Trend, in der Stadt auf das Auto zu verzichten, verstärkt. Neben ökologischen Überlegungen sind es vor allem soziale Fragen, die für diesen Vorschlag sprechen: Berlin würde sich damit dafür entscheiden, seine BürgerInnen tatsächlich an dieser Stadt teilhaben zu lassen – und zwar alle, auch diejenigen, die sich die U-Bahn-Fahrt bei den aktuellen Preisen nicht leisten können.

Dafür müsste allerdings ein sozialeres Finanzierungsmodell her als die von der Linkspartei vorgeschlagene Pauschalabgabe, von der es weiterhin nur wenige Ausnahmen geben soll. Nur mit einer einkommensabhängigen Staffelung der Beiträge käme der soziale Kern dieser Idee wirklich zum Tragen, auch über die Beteiligung von Unternehmen muss nachgedacht werden.

Zum größten Problem beim Versuch, Mehrheiten für dieses Projekt zu gewinnen, steht paradoxerweise die große Aussicht auf Erfolg: Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit so einem Modell tatsächlich viel mehr Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen würden als bisher. Das aber würde einen umfassenden Ausbau des bestehenden Netzes erfordern, eine tatsächliche Priorisierung des öffentlichen Verkehrs vor dem individuellen – davon ist die aktuelle Verkehrspolitik noch deutlich weiter entfernt als viele Bürger von der Einsicht, für etwas zahlen zu müssen, das sie selbst nicht nutzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Malene Gürgen
Reportage und Recherche
Redakteurin im Ressort Reportage&Recherche | Jahrgang 1990 | Seit 2014 Redakteurin der taz, zunächst im Berlinressort | 2016-2020 schwerpunktmäßig Recherchen zur extremen Rechten, dazu 2019 "Angriff auf Europa" im Ch. Links Verlag erschienen (mit C. Jakob, P. Hecht, N. Horaczek, S. am Orde) | 2020-2022 als Produktentwicklerin verantwortlich für die Konzeption der wochentaz | 2022-2023 Redakteurin im Ressort Zukunft – Klima Wissen Utopien | Seit 2023 im Investigativteam der taz.
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Würden nur 10% Mehrnutzer den ÖPNV nutzen käme das Verkehrsnetz in den Großstädten an seine Leistungsgrenze.

     

    In Ländern wie England gibt es für Menschen die ins Rentenalter kommen die Carte-Blanche.

    Heisst: Danke-Schön des Staates für jahrzehntelanges Arbeiten und Steuerzahlen verbunden mit freier Fahrt mit dem ÖPNV.

    • @adagiobarber:

      Nun, England ist England. Ich würde mich dagegen verwahren, daß auf solche Art Nichtnutzer des ÖPNV relativ benachteiligt werden.

  • Halt!!!

    Das ist alles zu wischiwaschi.

     

    WER genau soll hier WAS genau bezahlen?

  • Ein Leser brachte noch ein Argument, das Autorin vergessen hat: "Die Preise für Einzelfahrten sind unverhältnismäßig hoch" Falsch. die Einnahmen an Fahrkarten-Automaten in Berlin decken gerade die Kosten für die Aufstellung der Automaten. Man zahlt also praktisch für die Benutzung des Fahrkarten-Automaten und beteiligt sich mit keinem Cent an den Kosten für den ÖPNV. ie Preise für Einzelfahrten sind also viel zu niedrig.

    • @captainrik:

      WER bezahlt die Freifahrten? (Weil "frei" gibt´s nicht im Kapitalismus)

    • @captainrik:

      Die Verhältnismäßigkeit der Preise ist an den Einkommen der Leute zu bemessen, nicht daran, was irgendwelche Automaten kosten.

       

      Außerdem sind Automaten ja angeblich billiger als Personal. Insofern müssen ja die Kosten für die Unternehmen seit Einführung der Automaten gesunken sein, was also sinkende Fahrpreise bewirken müßte.

  • Bravo! Die Autorin listet fast vollständig die üblichen Denkfehler auf.

    Der Öffentliche Nahverkehr ist eine Bereitstellungsdienstleistung, alle Busse fahren auch ohne Fahrgäste. Diese Dienstleistung nutzen auch Menschen, die bisher nichts dafür zahlen.

    Busse und Bahnen wären überfüllt, wenn sie kostenlos wären. Nein, wären sie nicht. Der Supergau des ÖPNV war Fahrverbot wegen Smog. Dies wurde in Berlin immer gut bewältigt. Der Preis spielt jedoch für die Nutzung eines Verkehrsmittels fast keine Rolle., Fast alle Autofahrer werden auch weiterhin mit dem Auto fahren. Wichtiger wären Substitutionseffekte. Also am Platz gibt es keine öffentlichen Bänke mehr, also setzen wir uns halt in die U-Bahn. Seminartreffen in der Kneipe ist zu teuer, in der U-Bahn ist es viel gemütlicher. So etwas. Diese Effekte sind sehr leicht zu beherrschen, wenn den Bedürfnissen der Menschen an öffentlicher Teilhabe wieder Rechnung getragen wird, zB indem öffentlicher Raum nicht mehr privatisiert wird (In diesem Beispiel).

    Der Nahverkehr müsste stark ausgebaut werden. Gute Idee, leider undurchfürbar. In Berlin ist für neue U Bahnen schlicht kein Platz. Auch für weitere Busspuren gibt es wenig Möglichkeiten. Man muss statt dessen davon ausgehen, dass das System bei gegebenen Möglichkeiten bereits hochgradig optimiert ist. Auch weitere Subventionen würden kaum helfen, da diese jeweils fast ausschließlich den Privilegierten zu Gute kommen, und für die breite Masse kaum wirken. Subventionen verstärken nur die Ungerechtigkeit, nützen tun sie nix. Im schlimmsten Falle führen sie zu Substitutionseffekten.

    "Es gibt für dieses sinnvolle Projekt keine Mehrheit" Tatsächlich gibt es für dieses Projekt eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Die bisher Privilegierten versuchen mit Angstmacherei und Pseudoargumenten eine Diskussion abzuwürgen.

  • 8G
    889 (Profil gelöscht)

    Mal andersrum betrachtet: Wenn man sich in einer beliebigen Großstadt die Tarifstruktur des ÖPNV ansieht, dann fällt auf, dass Monats- und Jahreskarten oft nicht nur für Vielfahrer günstiger sind als Einzelkarten: nicht selten lohnt sich eine Zeitkarte schon bei drei oder vier Fahrten pro Woche.

     

    Die "Flatrate" ist also schon längst da und von den Verkehrsbetrieben gewollt. Sie müsste gerechtigkeitshalber nur noch auf die Gelegenheitsfahrer und Touristen ausgedehnt werden, die man derzeit mit überteuerten Einzeltickets schröpft.

  • Drohende Kapazitätsengpässe mag man zwar als "Ausrede" anführen, aber als K.O.-Argument taugt das nicht. So könnte man beispielsweise die Frei-Fahrten zunächst auf die Wochenenden bzw. die Zeit außerhalb der Stoßzeiten beschränken, so dass es nicht zu übermäßigem Gedränge kommt. Die Kontrollen ließen sich dann auf die Hauptverkehrszeiten beschränken - sofern dann überhaupt noch Schwarz-Fahrer unterwegs sind.

    • 8G
      8545 (Profil gelöscht)
      @0815:

      Der somit nötige Ausbau der Kapazität wäre auch gar keine Bedrohung.

      Für den Staat ist Geld so billig wie nie, ein guter Zeitpunkt in Infrastruktur zu investieren.

    • @0815:

      Freifahrten in Zeiten, in denen eine große Auslastung der Fahrzeuge nicht zu erwarten ist, empfinde ich als klugen Gedanken.

       

      Anmerken möchte ich, die Forderung nach einem kostenlosen ÖPNV war schon in den frühen siebziger Jahren während der Roten Punkt Aktionen erhoben worden, auch wenn es zunächst um Fahrpreiserhöhungen ging. Schon damals vor den Folgen einer weiter erfolgenden Bevorzugung des Autoverkehrs gewarnt wurde. Aber wer weiß, vielleicht gab es diese Gedanken schon zu Zeiten der Weimarer Republik und man hat diese Art von „Sozialismus“ auch damals schon nicht gewollt.

       

      Die Parteien jedoch, die sich dem in den 70er Jahren widersetzten haben dann später immer wieder auf den angeblich freien Willen der Bürger verwiesen, wenn es darum ging, wie der ganze Schlamassel zu erklären sei, der die BRD zum asphaltierten Land der brüllenden Straßen machte und den Kindern den Spielraum nahm.

      Gleichzeitig wurden die Einkaufszentren ohne günstigen ÖPNV-Anschluss auf grüner Wiese aus dem Boden gestampft - auch da wurde früh vor den Folgen gewarnt.

       

      Damals war zudem die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Kinder außerordentlich hoch. Gut - heute gibt´s ja nicht mehr so viele Kinder...

  • Zum größten Problem beim Versuch,(...) steht paradoxerweise die große Aussicht auf Erfolg!

    .

    Tja, das wäre ja peinlich. Ein Verkehrssystem, das als Grundversorgung wie Strom, Wasser, Gesundheitssystem für alle da ist und auch noch "Vorrang" beim Ausbau hätte.

    .

    Das geht "in diesem unserem Land" wohl gar nicht :-((

    .

    Kann sich noch jemand an das 1. Wochenendticket erinnern!

    .

    Die Züge waren VOLL mit Reisenden die noch nie Bahn gefahren sind, aber anstatt aus zu bauen und das Angebot besser nutzbar zu machen, wurde es eingedampft.

    .

    Nahverkehr ausbauen, und "alle zahlen dafür" ist doch schlimmster Kommunismus:-)), wenigstens in den Augen der Verantwortlichen für Verkehr im Land und Bund!

    .

    Brummt

    Sikasuu

    .

    Ps. Das es im Ballungsraum massiv Probleme mit PKWs gibt, die Spritpreise davon laufen werden, durch Stehzeug (Autas) die Stadt zur Wüste wird, wenn man Mittel umschichtet vom "Individualverkehr" auf ÖPNV das sogar ein Nullsummenspiel werden könnte.... sind alles nur Gerüchte!!!

    .

    Brummt

    Sikasuu

    • @Sikasuu:

      "Ein Verkehrssystem, das als Grundversorgung wie Strom, Wasser, Gesundheitssystem für alle da ist und auch noch "Vorrang" beim Ausbau hätte..."

       

      Nuja, die genannte Grundversorgung wird aber auch nicht Jedem nach Belieben per Flatrate oder gar kostenlos zur Verfügung gestellt. Insofern passt die Gleichsetzung nicht ganz.

       

      Und Vorrang beim Ausbau sollte haben, wo sich die meisten Engpässe bilden, nicht was irgendwelche Bessermenschen dem "Pöbel" als der Weisheit letzten Schluss im Transportwesen anerziehen möchten. Wenn es gelingt, ein gegenfinanziertes Konzept zur kostenlosen Nutzung von Bus & Bahn aufzustellen und damit einen signifikanten Umstieg vom Auto auf die ÖPNV zu erzielen, dann werden das natürlich auch Bus & Bahn sein. aber per ordre mufti sollte diese Prioritätensetzung nicht laufen.

       

      Der Knackpunkt ist ohnehin die Gegenfinanzierung. Die kommunalen ÖPNV hängen jetzt schon flächendeckend mit 20-50% ihrer Betriebskosten am Rockzipfel der gebeutelten Haushalte, in denen so eine Abgabe wie von der Linkspartei vorgeschlagen auch erstmal verdampft. Massiver Verzicht auf Einnahmen durch Freifahrten einschließlich dem absehbaren Ausbaubedarf wären also aus dem großen - aber so oder so ziemlich leeren - Topf zu bezahlen. Jede Wette, dass das reihenweise in die Binsen geht.

    • @Sikasuu:

      "Kann sich noch jemand an das 1. Wochenendticket erinnern!

      .

      Die Züge waren VOLL mit Reisenden die noch nie Bahn gefahren sind, aber anstatt aus zu bauen und das Angebot besser nutzbar zu machen, wurde es eingedampft."

      Wobei es Unkenrufen zu folge u. a. daran lag, dass plötzlich Hamburger Punks mal eben nach Sylt gefahren sind, in die Sommerfrische. :)

  • Diese Idee ließe sich auch bundesweit realisieren. Aber dafür sind wir zur sehr Autoland und zu sehr auf das Füllen der Geldbeutel einiger weniger fixiert...

    • @robby:

      ...und hätten keine Chance, mit dem derzeitigen Schienennetz und Fuhrpark einen Umstieg von der Straße auf die Schiene in nennenswerter Größenordnung auch nur annähernd zu stemmen. Aber das wird gerne vergessen.

      • @Normalo:

        Hallo normalo,

        Woher hast du die Information, würde mich interessieren. Oder sind das eigene Vermutungen?