Kommentar zum britischen Spitzel in Europa: Leih mir deinen Spitzel
Ein Undercover-Agent der britischen Polizei hat sich in Europas linker Szene herumgetrieben. Die Opposition ruft "Skandal!". Das ist richtig, erfolgt aber an der falschen Stelle.
N un ist es also amtlich: Über Jahre hat sich ein Undercover-Agent der britischen Polizei in Europas linken Szenen herumgetrieben. Darunter auch mehrfach in Deutschland. Dies hat Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes, nun im Bundestagsinnenausschuss offiziell bestätigt und dabei gleich erklärt, dieser sei dabei auch in strafbare Handlungen verwickelt gewesen. Bei SPD, Grünen und Linkspartei rufen die Innenpolitiker jetzt "Skandal!".
Der Alarmruf ist richtig - aber er erfolgt an der falschen Stelle. Nicht die Straftaten des angeblichen "Mark Kennedy" sind der Skandal; ohne die sogenannten szenetypischen Straftaten kann sich kein Spitzel lange halten. Alle wissen dies und der Aufschrei hat rein rituellen Charakter.
Unterzugehen droht dabei allerdings ein viel schwerwiegenderer Aspekt, den Ziercke en passant gleich mit offenbart hat: Die Innenministerien in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg hätten um den Einsatz des Briten ausdrücklich gebeten und dabei auf ein standardisiertes Verfahren zurückgegriffen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich somit offenbar im geeinten Europa ein System etabliert, bei dem sich die nationalen Polizeien bei Bedarf ungeniert schnell mal eben Beamte anderer Länder ausleihen können.
ist freier Journalist in Berlin.
Seit wann ist ein solcher Polizistenverleih Standard? Wie viele Italiener, Spanier oder Dänen sind in ähnlichen Missionen in Europa und Deutschland unterwegs? Wie viele deutsche Beamte tummeln sich in fremden Szenen? Nicht zuletzt: Wie und von wem werden solche Einsätze kontrolliert? Dies sind die Fragen, um die sich die Sicherheitspolitiker in Bund und Ländern nun kümmern müssen. Lautes Geschrei um brennende Müllcontainer hilft nicht weiter, es lenkt nur ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“