Kommentar zum Bildungsstreik: Studierende brauchen Überfluss
Berlins Wissenschaftssenator will die Studierenden entlasten, indem Überflüssiges an den Unis gestrichen wird. Dabei brauchen sie nichts dringender.
Es ist unübersehbar: Studierende und Schüler nehmen sich wieder Zeit, um für eine gute Ausbildung zu kämpfen. Dabei sind die Nachwuchsakademiker seit der Umstellung der Studiengänge auf die neuen Abschlüsse Bachelor und Master dermaßen eingebunden, dass kaum noch Luft für eigene Gedanken bleibt - geschweige denn dafür, das Bildungssystem infrage zu stellen. Wenn sie nun dennoch zu Tausenden auf die Straße rennen, ist das kein Widerspruch. Im Gegenteil: Der stete Druck entlädt sich im massivem Protest.
Dabei geht es den Schülern und Studierenden in Berlin noch vergleichsweise gut. Zwar werden Gymnasiasten auch hier in maximal zwölf Jahren zum Abitur gepeitscht. Aber Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) kann zu Recht darauf hinweisen, dass die neuen Sekundarschulen den Abschluss erst nach entspannten 13 Jahren vorsehen. Zudem gibt es in Berlin nach wie vor keine Studiengebühren. Dies allerdings nicht, weil der Senat nie an deren Einführung gedacht hätte, sondern weil die Studierenden vor ein paar Jahren so heftig dagegen demonstriert haben.
Ausgerechnet beim Kernproblem, der völligen Überfrachtung der Studiengänge, fällt der Senator durch. Zöllner schlägt vor, Überflüssiges an den Unis zu streichen. Dabei ist es genau das, was die Studierenden vermissen. Den Überfluss. Den Luxus, sich in der reichen Landschaft der Wissenschaften umzuschauen, einen eigenen Blick darauf, einen Standpunkt darin finden zu können. Nachdenken ist nicht teuer. Es kostet nur Zeit. Die wenigstens sollte man den Studierenden lassen.
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