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Kommentar zu neuen Kompetenzen für GerichtsvollzieherDie Devise heißt: Hinschauen

Kommentar von Manuela Heim

Die Initiative der Gerichtsvollzieher für eine bessere Zusammenarbeit mit den Jugendämtern sind ein Beitrag zur Sensibilisierung - nicht weniger, nicht mehr.

I n Berlin wird weggeschaut, was das Zeug hält. Einerseits ist das gut so: Grelle Lebensart und Schrulligkeiten gehen im Überangebot visueller Reize unter. In einer Hinsicht aber werden die Vorzüge der Großstadt zum fatalen Nachteil: Wenn die körperliche oder seelische Verwahrlosung von Kindern ungesehen in der Anonymität versinkt.

Es steht außer Frage, dass Jugend- und Gesundheitsämter weit besser als bisher ausgestattet werden müssten, um Gefährdungen des Kindeswohls frühzeitig erkennen und überforderte Familien besser unterstützen zu können. Aber auch die MitarbeiterInnen der Ämter, wie viele es auch sein mögen, sind darauf angewiesen, dass Menschen hinschauen. Und zwar besser einmal zu viel als einmal zu wenig. Für die betroffenen Familien mag das unangenehm sein. Aber jeder einzelne Fall körperlicher und seelischer Misshandlung, der dadurch früher entdeckt wird, wiegt dies im Zweifel auf.

Nur ein kleiner Beitrag

Es ist den GerichtsvollzieherInnen daher hoch anzurechnen, dass sie nicht nur den Kuckuck kleben, sondern sich aus eigener Initiative besser für das Erkennen von Kindeswohlgefährdung rüsten wollen. Andererseits bedeutet Armut nicht gleich Verwahrlosung, und Schulden müssen ganz sicher nicht mit Misshandlung zusammenfallen. Kindeswohlgefährdung kommt auch in Familien vor, die nie GerichtsvollzieherInnnen zu Gesicht bekommen werden. Deren Sensibilisierung kann daher nur ein kleiner Beitrag gegen die fatale Seite der Anonymität sein. Die Devise "Hinschauen" sollte in Sachen Kinderschutz für alle Menschen und alle Berufsgruppen gelten.

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9 Kommentare

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  • T
    Treppenterrier

    @Monja:

     

    Ich meine es so, wie ich es schrieb:

     

    Gegenseitige Überwachung ändert NICHTS an den Gründen für Mißhandlungen. Und zu einem der wichtigsten Gründe zählen soziale Mißstände durchs repressive Hartz4-System.

     

    Leider haben die Grünen ja heute mit ihrer Enthaltung bei der Beratung über die Sanktionen klar gemacht, dass sie ihr mitzuverantwortendes Kind namens Hartz4 eisern verteidigen.

  • M
    monja

    @Treppenterrier: "Das bei diesen Eltern die Nerven blank liegen, ist nur allzu verständlich!"

     

    Wie bitte habe ich das denn zu verstehen? Die Eltern können ja gar nichts dafür, dass sie sich gegenüber ihren Kindern nicht beherrschen können? Oder was wollen Sie damit sagen? Falls Sie das tatsächlich so meinen, wie ich es verstehe, dann kann ich meiner Verachtung gegenüber ihren Ansichtsweisen keinen angemessenen Ausdruck verleihen da mir schlicht und ergreifend die Worte fehlen! Wenn Sie unter solchen Eltern hätten leiden müssen, wüssten Sie dass man für jegliche Art von Hilfe dankbar ist. Wenn meine ehemaligen Nachbarn zur Polizei gegangen wären anstatt nur zu lästern hätte ich nicht jede Nacht Schlafstörungen und Alpträume. Besser einmal mehr ohne Grund etwas melden als einmal zu wenig!

  • T
    Treppenterrier

    So sehr, wie man jetzt den Treppenterrier spielen und seinen Nachbarn anschwärzen soll, so sehr sollte man stattdessen lieber etwas an den Mißständen ändern, indem man sich gegen das repressive Hartz4-System stark macht.

     

    Das ist echte Zivilcourage. Hier werden von Amts wegen Menschen mit dem Entzug von Nahrung und Obdach bedroht. Das bei diesen Eltern die Nerven blank liegen, ist nur allzu verständlich!

  • M
    Magenkrampf

    @Hilflos

     

    Dein Kommentar war noch nicht gepostet, als ich meinen schrieb. Ich kann dir nur zustimmen. Und was du erdulden musstest, kann ich nur zu gut nachempfinden.

     

     

    Und letztlich sind alle gefragt, bei auffallenden Missständen, diese auch zu melden. D.h. nicht, dass sie sich damit als Sozialarbeiter gerieren müssen, sondern ihr Schweigen ansonsten vor sich selbst verantworten müssen, als was auf ihre als politisch-korrekt verbrämte Selbstgerechtigkeit hoch zu halten wie ein Banner der Ehrbarkeit.

  • M
    Magenkrampf

    Ja, ja - Spitzel- und Denunziantentum... Wer empfindet dem gegenüber nicht politisch korrekte Abneigung und Verachtung?

     

    Doch geht es hier nicht um Ausspähung von poilitisch Andersdenkenden oder Diffamierungen von für wen auch immer unliebsamen Personen. Es geht um Aufmerksamkeit, nicht um aktives Ausspionieren oder Überwachen, nicht um Kontrolle oder das Ausleben niederer Instinkte oder Freuden.

     

    Einem Kind eine nicht lebenswerte Überwachungswelt zu ersparen, darf doch nicht heißen, es in einer Welt - wenn der Fall - aus Missbrauch, Misshandlung oder Ähnlichem leben zu lassen, damit ich reines Gewissens nicht als IM, Denunziant oder was auch immer gelte...

     

    Es geht auch nicht darum Familien einem Generalverdacht zu unterstellen, sondern betroffene, ausgelieferte Kinder zu schützen.

     

    Das ist eine Gratwanderung, die keine Lösung darin findet, sich durch einen IM-Denunzienten-Generalverdacht der Verantwortung zu entziehen, wenn sie sich einem stellt.

     

    Ich selbst bin ambivalent. Und die Meldung einer Vermutung/Beobachtung reicht sicher nicht aus, wenn das Kind sich von seiner Familie weggerissen fühlt; denn selbst in dysfunktionalen Familien schlägt man Wurzeln, glaubt man sich geborgen und sicher - und muss doch täglich darum kämpfen, indem man um die Liebe der Eltern wirbt und sie auch verteidigt.

     

    Meine Sorge besteht nicht so sehr in der Angst IMs und dergleichen heranzuzüchten, als das danach nichts geschieht,das Kind aufzufangen oder den Eltern zu helfen.

     

    Ich selbst bin mit einem Stiefvater aufgewachsen, der Alkoholiker und Missbrachstäter war, der schlug und sich an seinen Kindern verging; aufgewachsen mit einer Mutter, die dazu schwieg und nie etwas zum Schutz ihrer Kinder unternahm...

     

    Ein Verweis auf Blockwarte, IMs und nicht lebenswerten Überwachungswelten ist für mich eine Aufforderung zum Schweigen, Vertuschen und Banalisieren beim Auftreten von Gewalt(formen) innerhalb von Familien - und deswegen zu kurz gedacht.

     

    Als Kind hätte ich alle Nachfragen bezüglich meines Familienlebens abgewehrt und meine Mutter und Stiefvater geschützt, sei es aus Scham, missverstandener Liebe oder Ähnlichem. Und immer noch trage ich den tiefverwurzelten Impuls/Reflex lieber wegzuschauen, als Gewalt als solche zu benennen. Das ich deswegen vielleicht nicht als IM gelten muss, macht mich nicht glücklich - undifferenzierte Unterstellungen (die ja ebenso diffamierend sind und Täter schützen) mit dem Hauch von Selbstgerechtigkeit aber auch nicht...

  • H
    Hilflos

    Blockwarte hin, bespitzelen her: Ich bin eines dieser Kinder, um die die Welte schreit und heult, wenn sie zu Tode geprügelt wurden oder verhungert sind.

     

    Nach Jahren Therapie leide ich noch immer und brauche noch immer Therapie, die sich kaum finanzieren lässt, da Krankenkassen nur eine bestimmte Anzahl von Therapiestunden genehmigen. Stationäre Aufenthalte habe ich auch schon einige hinter mir. Von dem, was ich er- oder besser überlebt habe zu genesen, ist eine Lebensaufgabe. Da ist es nicht mit ein bisschen Therapie getan. Daher denke ich, je früher interveniert wird, desto besser. Egal ob dies GerichtsvollzieherInnen oder LehrerInnen oder ErzieherInnen sind. Nur leider passiert entweder nichts oder das Jugendamt kommt vorbei und befragt das Kind (also mich) in Gegenwart der Eltern, wie es mir geht. Klar, sage ich dann, dass es mir bestens geht, ich glücklich bin und die weltbesten Eltern habe. Weiß ich doch, der Mensch vom Jugendamt geht irgendwann wieder und was ich zu auszuhalten hätte, würde ich etwas schlechtes über meine Eltern sagen, würde er nicht mitkriegen, müsste ich aber aushalten, wozu ich aber, aufgrund jahrelanger Misshandlung nicht mehr in der Lage war. Also log ich. Was auch sonst. Den Schmerz betäubte ich mit (illegalen) Drogen. Was auch sonst, soll ich zum Psychologen/Psychiater gehen und sagen, ich brauche Medikamente, damit ich meinen Missbrauch, meine Misshandlungen besser ertragen kann? Sicher würde ich nichts bekommen, Sinn ist doch nicht die Misshandlung erträglicher zu machen, sondern die Misshandlung zu beenden. Letzteres ist aber kaum möglich. Wie auch, wo an allen Ecken und Enden Geld fehlt. Also heißt es weiter leiden, (illegale) Drogen nehmen (Heroin betäubt am besten) und irgendwie überleben. Irgendwann folgt dann eine Therapie, abgebrochen oder nach Beendigung Rückfällig. Therapie, Rückfall, Knast, Therapie... unendliche Wiederholungen. Unendlicher Volkswirtschaftlicher Schaden, unendliches menschliches Leid. Besonders dramatisch, wenn sich der Kreislauf wiederholt. Kinder, die abwechselselnd bei Junkies und Pflegefamilien aufwachsen, dann mit 16 selber schwanger werden und das Kind unbedingt zur Welt bringne wollen, weil sie ihm alles geben wollen, was sie selbst nie hatten. Glaubt jemande dass das funktioniert?

    Und so pflanzt sich das Elend fort, Generation um Generation und wird nie an der Wurzel gepackt, weil nie Geld da sein wird.

     

    Denunzianten? Blockwarte? Davon habe ich als Kind geträumt. Meine Realität waren Nachbarn, die ihren Spaß daran hatten, sich das Maul zu zerreißen, dass ich nachts um Hilfe schrie, unsere unmittelbaren Nachbarn, die sich beim Vermieter beschwerten über nächtliche Lärmbelästigung, dass sie nicht zur Ruhe kämen usw. Dass ich nie zur Ruhe kam und nicht geschrieen habe, um die Nachbarn zu ärgern, sondern aus Verzweiflung, hat niemanden interessiert. Alles anständige Menschen übrigens, die Nachbarn. Also keine schmarotzenden Hartz IV Empfänger. Ehrbare Menschen

     

    Und, ich glaube tatsächlich, dass Armut Gewalt fördert. Wo zu viele Menschen auf zu engem Raum zusammen leben, gibt es zwangsläufig Streit, wie auch in Tierversuchen immer wieder nachgewiesen. Jeder Schäferhund hat anrecht auf einen Zwinger mit einer gewissen Mindestgröße. In einem Kinderzimmer dieser Größe können -straflos, weil kein Gesetz vorhanden- quasi unendlich viele Kinder "gehalten" werden. Wenn juckt es schon? Außer, wenn die Kinder an Vernachlässigung sterben. Dann sind aber die Behörden schuld, immer ist irgendjemand schuld, außer dem direkten Umfeld. Und klar, man soll Kindern glauben,wenn sie von Missbrauch und Misshandlung sprechen, aber bitte nur, wenn es sich um Fremde oder Institutionen wie Kirche oder Sportverein handelt. Der eigene Vater, Bruder, Freund, Eheman missbraucht keine Kinder. Das denken sich die Kinder dann nur aus, in der eigenen Familie passiert sowas nämlich nicht. Aber, man soll Kindern dennoch generell erstmal glauben. Aber wie gesagt, der Glaube endet in der eigenen Familie und Gerichtsvollzieher, die den Verdacht der Kindesmisshandlung äußern, sind in jedem Fall mit Blockwarten zu vergleichen, die ihren anständigen, in Schulden geratenen Mitbürgern das Leben schwer machen.

  • GH
    Günther Hartmann

    Gerichtsvollzieher als Sozialarbeiter - dem vermeintlichen Kindeswohl zuliebe??

     

    Da bleibt mir nur noch die Luft weg!!

  • SS
    Stefan Seither

    Wir hatten schon einmal Blockwarte.

  • IS
    IM Spitzel

    Es ist niemandem geholfen und es ändert rein gar nichts an den Ursachen, wenn wir alle dazu angehalten werden, uns gegenseitig zu bespitzeln oder noch schlimmer, wenn Behördenmitarbeiter (im weitesten Sinne) zu solchen Spitzeln ausgebildet werden.

     

    Die Meldung wird vom Gerichtsvollzieher zum Jugendamt und von hier zum Jobcenter/Arge ihren Weg finden und das Jobcenter wird dies eiskalt ausnutzen, um menschenverachtende Sanktionen zu verhängern. Die schrecken dort vor nicht zurück, immerhin wurden schon Schwangere sanktioniert.

     

    Für mich steht schon seit langem fest, dass ich so eine Überwachungs-Welt für ein Kind nicht lebenswert finde.