Kommentar zu erhöhtem Kulturetat: Kunst sucht Räume
Der Mainstream darf sich freuen, aber für die Vielzahl kleiner Gruppen und Künstler bedeutet die Erhöhung des Kulturetats kein Ende der Selbstausbeutung.
I n der Berliner Kulturpolitik herrscht auch in der neuen Legislaturperiode eine Unwucht in Sachen gerechter Verteilung. Während sich der Mainstream über eine Aufstockung des Kulturetats freuen dürfte, bedeutet die Erhöhung des Budgets für die Vielzahl kleiner Gruppen und Künstler kein Ende der Selbstausbeutung.
Trotz einer Million Euro mehr ist zu wenig für zu viele im Fördertopf drin. Was bedeutet: Ohne zweiten, ja dritten Job oder das Geld vom Onkel aus Amerika geht dort nichts, um über die Runden zu kommen. „Wovon lebst du eigentlich?“, so der Titel des Buches von Jörn Morisse, dürfte in den Klubs auch weiterhin die Hauptfrage zum Leben in prekären Zeiten bleiben.
Um das zu verändern, müsste sich der Regierende Kultursenator gar nicht auf gewerkschaftlichen Konfrontationskurs à la Mindestlohn für Künstler einlassen. Es genügt schon, die eigenen Ansprüche endlich ernst und sich in die Verantwortung zu nehmen. Denn Berlin, so Klaus Wowereit gebetsmühlenartig, ist die Hauptstadt der jungen Kunst und des Underground. Wie einst nach SoHo, zieht es die Avantgarde heute an die Spree. Das ist hip und schafft Geld.
Aber nicht für alle. Muss es auch nicht. Immer deutlicher wird: Außer dem Rubel sind die künstlerischen Frei-Räume, die „Schokoläden“ und „Tacheles“ das Salz in der Suppe eines neuen kommunikativen, vernetzten Künstlerdaseins. Erkennt der Senat dies nicht und richtet seine Liegenschaftspolitik nicht darauf hin aus, werden hier zwar keine Künstler verhungern. Sie ziehen einfach weiter – und Berlin bleibt Didi Hallervorden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden