piwik no script img

Kommentar (zu S.22)Instinktlos

■ Wiederkäuer der Wehrmachtsgreuel

Eine ganze Stadt debattiert über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die Große Koalition ist gespalten – was fällt dem Bürgermeister dazu ein? Eine „Fachtagung“. Eine Schnapsidee. Was bloß soll bei der Tagung herauskommen, was nicht schon längst bekannt ist? Nur noch die verbohrtesten Revisionisten bestreiten die tiefe Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen der Nazis. Die Tagungsteilnehmer werden also nicht mehr tun können, als widerkäuen, was längst gegessen ist. Dabei geht es doch seit Wochen um die gesellschaftliche Verdauung. Die Stadt müßte über die Macht der Gefühle debattieren, über das Nicht-hinsehen-wollen, über den tiefen Graben zwischen den Generationen. Erster Schluß: Die Tagung ist schlicht überflüssig. Die darin enthaltene Behauptung, daß es in der Sache noch Klärungsbedarf gebe, behindert eher den Lernprozeß.

Aber das ist noch nicht alles. Die Liste der Tagungsteilnehmer ist nur peinlich. Daß keine einzige VertreterIn der Opfer eingeladen wurde, dokumentiert eine schlimme Instinktlosigkeit. Und daß sich die versammelte Herrenrunde dann auch noch über die Bundeswehr unterhält – wo es doch um die Wehrmachtsverbrechen geht – ist atemberaubend. So wird die Armee einer Demokratie in die Kontinuität der Vernichtungsmaschine einer Diktatur gestellt. Man muß die Bundeswehr schützen. Vor solchen Leuten. Jochen Grabler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen