Kommentar (zu S.22): Instinktlos
■ Wiederkäuer der Wehrmachtsgreuel
Eine ganze Stadt debattiert über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die Große Koalition ist gespalten – was fällt dem Bürgermeister dazu ein? Eine „Fachtagung“. Eine Schnapsidee. Was bloß soll bei der Tagung herauskommen, was nicht schon längst bekannt ist? Nur noch die verbohrtesten Revisionisten bestreiten die tiefe Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen der Nazis. Die Tagungsteilnehmer werden also nicht mehr tun können, als widerkäuen, was längst gegessen ist. Dabei geht es doch seit Wochen um die gesellschaftliche Verdauung. Die Stadt müßte über die Macht der Gefühle debattieren, über das Nicht-hinsehen-wollen, über den tiefen Graben zwischen den Generationen. Erster Schluß: Die Tagung ist schlicht überflüssig. Die darin enthaltene Behauptung, daß es in der Sache noch Klärungsbedarf gebe, behindert eher den Lernprozeß.
Aber das ist noch nicht alles. Die Liste der Tagungsteilnehmer ist nur peinlich. Daß keine einzige VertreterIn der Opfer eingeladen wurde, dokumentiert eine schlimme Instinktlosigkeit. Und daß sich die versammelte Herrenrunde dann auch noch über die Bundeswehr unterhält – wo es doch um die Wehrmachtsverbrechen geht – ist atemberaubend. So wird die Armee einer Demokratie in die Kontinuität der Vernichtungsmaschine einer Diktatur gestellt. Man muß die Bundeswehr schützen. Vor solchen Leuten. Jochen Grabler
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