Kommentar zu Julian Assange: Unglaubliche Doppelmoral
Julian Assange erhält Asyl in Ecuador. Die britische Drohung, die ecuadorianische Botschaft zu stürmen, führt internationales Recht ad absurdum.
D er Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange ist zu einem unglaublichen Beispiel internationaler Doppelmoral geworden. Beide derzeit involvierte Länder, Großbritannien und Ecuador, messen mit zweierlei Maß. Am Mittwoch gab Ecuador die erwartete Entscheidung bekannt, Assange Asyl anzubieten, um ihn vor der möglicherweise drohenden Überstellung in die USA zu beschützen.
Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit verfolgt die Regierung aber gleichzeitig die Ausweisung eines weißrussischen Ex-Regierungsmitarbeiters, der seit drei Jahren Asylstatus in Ecuador genießt.
Der Grund: Vor sechs Wochen war Weißrusslands Präsident Lukaschenko in Quito, unterzeichnete eine Reihe Wirtschaftsabkommen und machte Druck. Wenig später wurde der Mann, Alexander Barankov, in Quito verhaftet. Vor diesem Hintergrund sind die blumigen Erklärungen des ecuadorianischen Außenministers über die große Bedeutung politischen Aslys nicht mehr viel wert.
ist Auslandsredakteur der taz.
Großbritannien seinerseits hat mit seiner unverhohlenen Drohung, womöglich mit Polizeikräften die ecuadorianische Botschaft zu stürmen, um Assange zu verhaften, seine eigene, bisher zu Recht international vertretene Position über den Schutz der diplomatischen Vertretungen und die Treue zu den Wiener Konventionen ad absurdum geführt. Man stelle sich nur einmal vor, andere Staaten hätten in der Vergangenheit so gehandelt: Weder Dissidenten in der US-Botschaft in China noch DDR-Flüchtlinge in der deutschen Botschaft in Prag wären sicher gewesen.
Dass die britische Regierung bereit ist, einen derartigen Präzedenzfall auch nur anzudeuten, ist ein herber Schlag. Und: Sie gibt Assange damit eine Wichtigkeit, die überrascht.
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