Kommentar zu Guttenberg: Der kleinste Fehler des Barons
Zum ersten Mal verzeiht man Verteidigungsminister zu Guttenberg nicht sofort. Aber dass er bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat, ist nicht sein größtes Vergehen.
J etzt scheint der Lack erstmals wirklich aufzuplatzen: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat betrogen. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern massiv. Wem nachgewiesen wird, gleich die Einleitung seiner Doktorarbeit kopiert zu haben, der muss sich gefallen lassen, dass an seinem sauberen Charakter gezweifelt wird.
In einer Dissertation gilt es, wissenschaftliche Thesen zu entwickeln und zu belegen. Und genau diese Leistung wird eben in einer Einleitung vorgestellt - ist die geklaut, kann es auch mit dem Rest nicht weit her sein.
Dass Guttenberg nicht der einzige ist, der die eigene Doktorarbeit hat anfertigen lassen, ändert nichts an der Tatsache, dass er für diesen Betrug ganz persönlich verantwortlich zeichnet. Auch wird ihm in diesem Fall sein klassisches Verhaltensmuster in Konfliktsituationen wenig nutzen: Weder kann er den Doktorvater noch seinen Ghostwriter entlassen. Es bleibt also spannend, denn die Aufregung ist groß im Land, das sich schließlich seit geraumer Zeit im Krieg befindet.
INES POHL ist Chefredakteurin der taz.
Nun mag man sich freuen, wenn das Volk dem Guttenberg zum ersten Mal nicht mehr alles verzeiht. Auf der Empörungswelle einfach mitzusegeln, verbietet sich aber. Man staunt vielmehr, dass die Menschen sich so sehr über das Abschreiben ereifern, aber so wenig darüber, wie leichtfüßig der Verteidigungsminister immer wieder versucht hat, sich aus seiner Verantwortung als Amtsträger zu stehlen: indem er Führungskräfte überhastet entlässt, weil er Menschen braucht, an die er die Verantwortung für den Tod von Zivilisten und Soldaten abgeben kann.
Das Gebrüll der Opposition ist entsprechend billig, angesichts der wirklichen Fehler, die Guttenberg zu verantworten hat. Doch mit politischen Sachargumenten konnten weder Grüne noch SPD dem supererfolgreichen Edelmann bisher wirklich gefährlich werden - zu sehr sind sie selbst ins Kriegstreiben verstrickt, um dem Star den Glanz zu nehmen, den er nie verdient hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption