Kommentar von Ulrich Schulte: Leerstelle Europa
Die Grünen sagen gerne von sich, sie seien dieEuropapartei. Aber sind sie das wirklich? Natürlich, wenn man mit wichtigen Grünen spricht, sind sich alle einig: Die Zukunft des Staatenbundes ist eines der Megathemen der nächsten Jahrzehnte; eine starke, solidarische EU ist als Gegenspieler zu den Erdoğans, Putins und Trumps dieser Welt wichtiger denn je. Grüne können sich herrlich darüber aufregen, dass die von Merkel und Schäuble oktroyierte Sparpolitik die EU geschwächt und Misstrauen gegenüber Deutschland geschürt hat.
Aber zwischen Bekenntnissen und Taten klafft eine Lücke. Nur ein Beispiel von vielen: In dem Beschluss, den die Grünen am Sonntag auf einem Parteitag fassten, bekommt die EU ein paar dürre Zeilen, inklusive der Floskel, Europa stehe am Scheideweg. Ah ja. Dieser Eindruck zieht sich durch. Die Grünen haken Europa in diesem Wahlkampf pflichtschuldig ab – nicht als Nebensache, aber auch nicht als Hauptsache.
Dahinter steckt eine nüchterne Analyse: Europa ist als Wahlkampfthema wenig sexy. Viele Leute schalten ab, wenn sie Brüssel hören. Die Probleme der Griechen sind weit weg: Wer bekommt schon mit, dass RentnerInnen in Athen wegen brutaler Kürzungen in die Armut rutschen? Und auch die sogenannte Flüchtlingskrise, die den Deutschen drastisch vor Augen führte, wie abhängig wir von den EU-Partnern sind, scheint erst mal ausgestanden.
Die Grünen haben sich deshalb lieber auf naheliegende Themen konzentriert. Klimaschutz, die Dieselaffäre, ökologische Landwirtschaft. Selbst über Terror und Innenpolitik – mehr Polizisten! – haben die Spitzengrünen mehr gesprochen als über Europa. Ein Fehler. Wenn jemand den Wert der EU zu schätzen weiß, dann sind es die gut gebildeten Grünen-WählerInnen. Sie schicken ihre Kinder mit Erasmus nach Barcelona, sie reisen gerne, sie wünschen sich Solidarität mit Geflüchteten.
Die Zukunft Deutschlands könne nur mit den Nachbarn gut gestaltet werden, sagt der europäische Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. Leider schoben die Grünen Typen wie ihn oder Ska Keller, kundige und erfahrene Europapolitiker, im Wahlkampf nicht stärker nach vorne.
Die Grünen sagen gerne: Es bräuchte eine neue, ökologische und solidarische Erzählung von Europa, die Leute wirklich begeistert. Sie haben recht. Aber sie selbst haben sie nicht erzählt.
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