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Kommentar von Stefan Reinecke Gerangel – um welche Macht?

Fangen wir mit dem Positiven an. Der Streit in der Linkspartei dreht sich um Wesentliches. Soll die Partei Schutzmacht deutscher Globalisierungsverlierer sein? Oder unter der Fahne de­s Internationalismus segeln und Freiheitsgewinne verteidigen, von denen eher Minderheiten profitieren? Bei den GenossInnen prallt linker Republikanismus, der auf Nation und Sozialstaat setzt, auf Refugee-welcome-Unversalismus. Die Linkspartei hat sich schon wegen unwichtigerer Fragen zerlegt.

In Leipzig zeigte sich aber auch die Unfähigkeit der GenossInnen, die Debatte produktiv zu führen. Die Linkspartei ist ein harmoniebedürftiger Verein. Man mag keinen offenen Streit, die Führung ist indes tief verfeindet. Und das betrifft nicht nur die prominenten Figuren Kipping und Wagenknecht. Dieser Konflikt ist, wie Leipzig zeigte, durch keinen Formelkompromiss zu offenen Grenzen zu beruhigen. Viel geht es dabei um persönliche Animositäten, die bloß mit Gesinnungsfassaden verkleidet sind. Dietmar Bartsch beklagte zu Recht die „ideologische Maskierung von Machtfragen“. Allerdings fragt sich: von welcher Macht? Von Rot-Rot-Grün im Bund redet niemand mehr. Das interne Machtgerangel ist also nur die andere Seite des Schwindens einer Aussicht auf reale Macht.

Das deutsche Parteiensystem ist in Bewegung geraten. Mit dem Niedergang der SPD und der Etablierung der AfD verändert sich die Tektonik. Wäre Wagenknechts Sammlungsbewegung eine Antwort darauf? 24 Prozent können sich laut Umfragen vorstellen, eine „Liste Wagenknecht“ zu wählen. Doch wahrscheinlich können sich auch 24 Prozent vorstellen, nächstes Jahr nach Australien zu reisen. Machen sie aber nicht. Talkshowpopularität lässt sich, zum Glück, nicht eins zu eins in Wählerstimmen ummünzen. Eine „Liste Wagenknecht“ wäre ein weiteres Kapitel in der Geschichte linker Selbstzerstörung.

Die Linkspartei hat bislang keine Antwort auf die Erosion des Parteiensystems. Sie bräuchte einen gleichermaßen realistischeren und eigenständigeren Kurs. Als SPD-Kopie technokratisch zu verholzen, wie im Osten teils geschehen, führt in die Sackgasse. Für einen Aufbruch muss die Partei erst ideologische Trümmer wie die Forderung nach Auflösung der Nato oder Putin-Verehrung beiseiteräumen. In Leipzig haben die GenossInnen einen allzu Russland-affinen Antrag abgelehnt – ein Hoffnungszeichen.

Aber das ist zu wenig. Wenn die Linkspartei den Niedergang der SPD kompensieren will, muss sie entschlossen den ewigen Klageton über die Schlechtheit der Welt abstellen – und schwungvollen, optimistischen Reformismus verkörpern.

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