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Kommentar vonNiklas Heupelüber die notwendige Reform des Bafög-SystemsDas Studium als Klassen­frage

Angst vor der nächsten Klausur? Für viele Studierende aus Ar­bei­te­r*in­nen­fa­mi­li­en wiegt die Klassenfrage schwerer als der Notendruck.

Bereits unter den Stu­di­en­an­fän­ge­r*in­nen ist der Anteil der Studierenden aus akademischen Elternhäusern überproportional. Noch deutlicher werden die Unterschiede bei Hochschulabschlüssen: Während 43 Prozent der Kinder mit akademischem Background einen Mastertitel erwerben, tun dies nur 11 Prozent der Kinder aus Arbeiter*innenfamilien. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Kluft weiter wachsen wird. Während die Inflation Leben und Studium stetig verteuert, steigen die Bafög-Sätze im Zeitraum von 2024 bis 2026 um mickrige 5 Prozent. Auch der Anteil der Studierenden, die Bafög beziehen, ist weiterhin rückläufig.

Studieren steht dabei im direkten Zusammenhang mit Armutsgefährdung. Ein Drittel aller Studierenden und fast vier von fünf Studierenden, welche nicht mehr im Elternhaus wohnen, sind in Deutschland von Armut bedroht. Verwunderlich ist dieser Zusammenhang aber wohl kaum: Unbezahlte Pflichtpraktika, eine unzureichende staatliche Förderung und hohe Lebenshaltungskosten sowie Mieten in Universitätsstädten, welche weit über der Mietkostenpauschale des Bafögs liegen, stellen einen optimalen Nährboden für Armut dar.

Dazu kommt: Wer neben dem Studium arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, kann kaum erwarten, das Studium in der sogenannten Regelstudienzeit zu beenden. An diese ist wiederum das Bafög geknüpft – ein Teufelskreis. Das Studium ist weniger eine Sprosse in der Karriereleiter als ein Bergsteigen – inklusive staatlicher Stolpersteine. Lehrjahre seien keine Herrenjahre, mit diesem Mantra werden Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit in Ausbildung und Studium nichtig gemacht.

Doch müssen Lehrjahre deshalb Armutsjahre bleiben?

Die EU arbeitet bereits an einem Gesetzesentwurf, welcher unbezahlte Pflichtpraktika verbieten könnte. Doch das reicht noch lange nicht. Neben ausreichend staatlich gefördertem Wohnraum – oder einer Anhebung von Wohnungspauschalen an das Niveau tatsächlicher Wohnkosten – ist eine umfassende Bafög-Reform überfällig.

Ein Bafög für alle als Vollstipendium ist dringend notwendig. Die Höhe dieses Vollstipendiums muss dabei an die tatsächliche Lebensrealität angepasst und gesetzlich an die Inflation gekoppelt werden. Studium und Ausbildung dürfen weder Luxus noch vom Elternhaus abhängig sein. Bildung ohne Armutsgefährdung muss allen offenstehen.

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