Kommentar von Michael Trammer zum Anschlag in Magdeburg: Was gibt Hoffnung? Vielleicht das: sich gegenseitig in den Arm nehmen und gemeinsam trauern
Seit nunmehr einer Woche ist Magdeburg im Schockzustand. Das spürte man, wenn man in den vergangenen Tagen durch die Innenstadt flanierte. Wie taz-Recherchen zu rassistischen Angriffen in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt zeigen, herrscht in Teilen ein feindseliges Klima gegenüber Migrant:innen und jenen, die als „ausländisch“ wahrgenommen werden. Das geht sogar so weit, dass unter den Angegriffenen eine Intensivpflegerin in einem Krankenhaus ist, die tagelang um das Leben von Verletzten kämpfte.
Dabei müssen wir nach den Ereignissen aufeinander zugehen, innehalten, verarbeiten. Wir brauchen mehr Zusammenhalt untereinander und keine (weitere) Spaltung der Gesellschaft. Und das Allerletzte, was die Hinterbliebenen und Betroffenen brauchen, ist, dass auf den Gräbern der Toten herumgetrampelt wird, wie es in den eigenen politischen Kram passt. Doch das ist den Neonazis und Rassist:innen, die nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt gegen Migrant:innen aufmarschiert sind, natürlich egal. Außer auf jene, die jetzt schon, während Schwerverletzte noch in Lebensgefahr schweben und die Hintergründe aufgearbeitet werden, zu wissen meinen, wie alles hätte verhindert werden können, lohnt ein besonderer Blick auf die Hetzer: sowohl auf die auf der Straße als auch auf die, die medial ihr Unwesen treiben; auf die, die sich die Finger wund posten und den Fall instrumentalisieren. In den sozialen Medien ergießt sich eine Welle des Hasses. Manche rechtfertigen gar Angriffe als notwendige Selbstjustiz. Und dieser digitale Hass überträgt sich auf die Stimmung im öffentlichen Raum.
Wenn die Zivilgesellschaft nicht interveniert und alle Anständigen der Gesellschaft sich nicht gegen diese Hetze zusammenschließen, hat der Täter sein Ziel erreicht. Die Anfeindungen und Angriffe gegen Migrant:innen erzeugen Isolation. Und wie der Psychologe Jan İlhan Kızılhan, Leiter des Instituts für transkulturelle Gesundheitsforschung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, sagt, führt das zur Radikalisierung – in jede Richtung. Soll heißen: Wenn Teile unserer Gesellschaft Menschen mit Migrationsbiografie als Feinde markieren, werden diese in die Hände von Extremist:innen getrieben.
Was könnte helfen? Vielleicht das hier: sich in den Arm nehmen, gemeinsam trauern und anerkennen, dass vom Anschlag mehr Menschen als die Opfer und ihre Familien und Freunde betroffen sind. Und ja, das ist dieser Tage auch zu beobachten – und das gibt Hoffnung. Hoffnung darauf, dass wir unverhandelbare Menschenrechte noch nicht über Bord geworfen haben. Hoffnung, dass wir zusammenstehen. Allein am Vorabend zum Weihnachtsfest kamen 7.000 Menschen zu einer Lichterkette der Initiative gegen Hass zusammen. Das sind doppelt so viele, wie sich lautstark und voller Hass am Auftakt zum Bundestagswahlkampf der AfD beteiligten. Das sind die Zeichen, die es braucht. In Magdeburg und bundesweit. Dann können wir es schaffen, die Gräben der Gesellschaft zu überwinden.
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