Kommentar von Kaija Kutter zu Misshandlungen in der Jugendakademie der SG Flensburg: Das war Folter
Zwei junge Nachwuchssportler schließen sich nachts in ihr Zimmer ein, weil sie Angst vor ihren Kumpanen haben, die ihnen mit einer Zange die Brustwarzen umdrehen wollen. Und als sie vergessen, abzuschließen, schreiten die anderen zur Tat. Diese im Spiegel geschilderte grausige Situation, die sich im Spätsommer 2015 in der Nachwuchsakademie eines Flensburger Handballvereins zugetragen haben soll, ist ein klarer Fall von Vernachlässigung der Aufsichtspflicht.
Dem Bericht zufolge hat der Verein schon damals das „Ritual“ unterbunden, eine Psychologin eingestellt und die Zange entsorgt. Und doch wurde einem der Opfer laut Spiegel im Herbst 2018 zugetragen, dass es das Ritual wieder gebe. Hier ist es Sache des zuständigen Innenministeriums und der Polizei, das sofort abzustellen.
Dass in hierarchischen Institutionen Ältere die Neuen quälen, ist ein bekanntes Phänomen. Die Bundeswehr hat deshalb irgendwann begonnen, reine Rekruteneinheiten ohne diese toxische Mischung zu gründen, die Nationale Volksarmee behielt die Mischung als Mittel zur Disziplinierung weitgehend bei.
Klar ist auch: Jugendliche brauchen Räume, in denen sie ohne Kontrolle sind. Sportvereine bieten hier gute Möglichkeiten. Zugleich liegt es aber in der Verantwortung der Erwachsenen, dass keiner gequält wird und zu Schaden kommt. Je älter Kinder und Jugendliche sind, desto mehr kann man sie sich selbst überlassen. Doch ein verantwortlicher Ansprechpartner sollte die Lage im Blick haben – zumal in einem Internat, in dem die jungen Menschen rund um die Uhr leben.
Die Grenze zur Quälerei kann fließend sein. Wenn sich Jugendliche raufen und kneifen oder wenn beim Rudern die Jüngsten ins Wasser geworden werden, mag das brutaler aussehen, als es ist. Der Fall aus Flensburg jedoch liegt ganz klar: Das war Folter. Es wurde ein Werkzeug benutzt, es wurde ein Junge in seinem Zimmer überfallen und festgehalten. Dritte guckten zu, ohne einzugreifen. Der Fall muss dringend politisch aufgeklärt werden. Bericht
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