Kommentar von Claudius Prößer zu Unfällen und einer neuen Fahrkultur: Aufs Abbiegen kommt es an
Claudius Prößer
ist Redakteur für Verkehr und Umwelt.
Mit Statistiken kann man ja alles Mögliche belegen und das Gegenteil davon meistens auch. Es kommt auf die Interpretation an.
Oft erschließt sich die Realität hinter den Zahlen auch erst auf den zweiten oder dritten Blick. Beispiel Polizeiliche Unfallstatistik 2018. Im vergangenen Jahr, so wissen wir seit gestern, gab es mehr Unfälle im Straßenverkehr als in den Jahren davor. Schlecht! Auf den zweiten Blick zeigt sich: Die Einwohnerzahl Berlins ist im selben Zeitraum noch stärker gewachsen. Was bedeutet: Die Unfallwahrscheinlichkeit hat nicht zu-, sondern abgenommen. Gut!
Aber geht es wirklich in die richtige Richtung? Der dritte Blick offenbart noch etwas anderes. Nämlich, dass die Zahl der Verkehrsopfer deutlich stärker gewachsen ist als die Bevölkerung. Bei den Schwerverletzten sogar um fast zehn Prozent im Vergleich zu 2017, ganz zu schweigen von der Zahl der Toten, da sind es ganze 25 Prozent.
Und noch eine Zahl ist interessant: Bei den wichtigsten Unfallursachen verzeichnet nur eine ein signifikantes Plus. Das sind die „Fehler beim Abbiegen“. Die Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeit nehmen dagegen sogar etwas ab. Das dürfte viel mit dem wachsenden Verkehr in der wachsenden Stadt zu tun haben. Zwar fließt er insgesamt langsamer – man verbringt ja auch viel Zeit im Stau –, aber der Stresspegel steigt und die Übersichtlichkeit sinkt. Gleichzeitig wächst der Radverkehr überproportional, was besonders an Kreuzungen zu gefährlichen Situationen führt.
Abhilfe versprechen da neue und bessere Radverkehrsanlagen, der Einbau von Abbiegeassistenten in Lkws und die Ausweitung von Kontrollen. Vielleicht braucht es aber auch endlich eine neue Fahrkultur. Dazu gehören weniger Konkurrenzdenken und Rechthaberei, aber mehr Rücksichtnahme und Entspanntheit.
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