Kommentar türkische Migranten: Neues Selbstbewusstsein
Heute muss die türkische Regierung den Migranten etwas bieten, sonst investieren diese nicht mehr am Bosporus.
Vor zwei Jahren sorgte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan bei einer Großveranstaltung in Köln für viel Aufregung: Er forderte von seinen Landsleuten im Ausland: Integration ja, Assimilation nein. Unter dieser Parole gestaltete die türkische Regierung jetzt einen großen Kongress in Ankara, der nach 50 Jahren Migration eine Bilanz ziehen sollte.
Die Türkei befindet sich dabei in einem Zwiespalt. Einerseits sollen sich die Migranten in Europa integrieren, es zu Wohlstand und Ansehen bringen; andererseits möchte man doch nicht ganz die Kontrolle über die Türken im Ausland verlieren. Das ist gemeint, wenn Erdogan die Einwanderer vor der Assimilation warnt.
Tatsächlich ist das eine Scheindebatte, die mit den Realitäten so wenig zu tun hat wie die jahrzehntelang vertretene Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Deutschland ist ein Einwanderungsland, und welche Verbindungen die Einwanderer noch mit ihrem Herkunftsland pflegen, bestimmen sie längst selbst. Die Türken aus Westeuropa zeigten in Ankara ein Selbstbewusstsein, das in dieser Form neu ist. Die Zeit, in der sie sich von Botschaftern, Konsuln oder aus Istanbul gesteuerten türkischen Medien bevormunden ließen, ist vorbei.
Das hat ganz praktische Konsequenzen. Lange hat die Türkei von den Devisenüberweisungen der Emigranten profitiert. Erst vor wenigen Monaten startete die Regierung wieder eine Kampagne, um Auslandstürken dazu zu bringen, mehr Geld in der alten Heimat anzulegen. Ohne Erfolg. Seit zehn Jahren sind die Überweisungen stark rückläufig: 2008 kam nur noch 1 Milliarde statt der 5 Milliarden von 1998. Das ist kein Zeichen von Assimilation, sondern vom Ende der Bevormundung. Auch die türkische Regierung muss sich auf selbstbewusstere Migranten einstellen, denen man etwas bieten muss, wenn sie am Bosporus investieren sollen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen