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Kommentar niedersächsische AbschiebungspolitikZaungäste der Gesellschaft

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Wen Innenminister Schünemann und sein ehemaliger Chef Wulff hier nicht haben wollten, für den ist die Republik nicht bunt, sondern grau. Und irgendwann Vergangenheit.

Brücken bauen" zu den Migranten, "Verbindungen schaffen" für eine "bunte Republik Deutschland" - das waren die Phrasen, mit denen sich der Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen, Bundespräsident Christian Wulff, vor wenigen Tagen als moderner Freund der Zuwanderung präsentierte.

Seine Politik sieht anders aus. Der Fall von Abrahim Bakro ist nur ein Beispiel für Tausende Menschen aus Syrien und anderen Ländern, die in Niedersachsen nur geduldet werden. Als Zaungäste der Gesellschaft, ohne Rechte und Perspektive, können sie nur auf den Tag warten, an dem das letzte Abschiebehindernis beseitigt ist und Bundespolizisten sich mit ihnen in ein Flugzeug setzen.

Ein Leben auf Abruf, zermürbende Ausgrenzung durch Arbeits- und Ausbildungsverbot - mehr ist Niedersachsen vielen MigrantInnen nicht bereit zu geben. Dass sie häufig jung, den Umständen entsprechend integriert, arbeitswillig und der Sprache mächtig sind, nutzt ihnen nichts. Im Fall von Syrien kommt erschwerend hinzu, dass der Autokrat Al-Assad einen Polizeistaat unterhält, in dem gefoltert wird. Das räumt sogar das Auswärtige Amt in überraschender Deutlichkeit ein.

Schünemann und seinen ehemaligen Chef Wulff kratzte dies nicht. Wen sie hier nicht haben wollten, für den ist die Republik nicht bunt, sondern grau. Und irgendwann Vergangenheit.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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1 Kommentar

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  • H
    HamburgerX

    Nun man kann Wulff durchaus kritisieren, wenn in seiner Rede ein Selbstverständnis herrscht, das er im eigenen Bundeland nicht umzusetzen mochte. Mich hat aber auch noch etwas anderes massiv gestört. Natürlich kann Zuwanderung Bereicherung sein, Beispiele gibt es dafür zuhauf. Allerdings sind die vielen negativen Seiten der in Deutschland praktizierten Migrationspolitik seit 1960 in seiner Rede komplett ausgeblendet worden. Mit ihren Implikationen für Sozialsysteme, Kriminalität, gesellschaftlichen Spannungen. Genau so wenig Zuwanderung also pauschal falsch ist, ist sie pauschal richtig. Es kommt auf die Gestaltung an.

     

    Daher hätte ich mir gewünscht, dass Wulff Erfolge, aber auch Fehler (auf beiden Seiten) benennt und dann klare Schlüsse daraus zieht und eine Perspektive aufzeigt.