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Kommentar neue AgrarwendeMit dieser Regierung? Warum nicht!

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

Es mutet wie Öko-Science-Fiction an, aber die Initiative für eine neue Agrarwende eröffnet reale Perspektiven. Nur Schwarz-Gelb kann sie bei den Bauern durchsetzen.

E s klingt absurd: Wegen so einem bisschen Dioxin im Frühstücksei eine Agrarwende lostreten? Immerhin haben wir Gammelfleisch, Pestizide im Gemüse und Rinderwahn überstanden, ohne dass sich viel geändert hat. Tatsächlich war bei BSE die akute und gefühlte Bedrohung des Einzelnen deutlich höher als bei den Dioxinfunden im Futterfett, in Eiern und Fleisch.

Aber die Lage hat sich geändert. Insofern haben die Wissenschaftler und Umweltschützer recht, wenn sie jetzt zur "Agrarwende 2.0" aufrufen. EU-Kommission und EU-Parlament wollen vorsichtig umsteuern, die Bauern merken, dass es so nicht weitergeht, und immer mehr Kunden greifen nur mit schlechtem Gewissen zu Wurst und Hähnchenschnitzel, die ein Gesundheitsrisiko bedeuten. Daher ist es strategisch geschickt, wenn sich die Aktivisten jetzt die Tierhaltung vornehmen: Hier wird mit einem Blick hinter die Türen deutlich, woran das System krankt.

Es mutet wie Öko-Science-Fiction an, aber die Initiative eröffnet reale Perspektiven. Denn nur eine schwarze Regierung kann schmerzhafte Einschnitte bei der eigenen Klientel, den Bauern, durchsetzen. So wie nur Rot-Grün damit beginnen konnte, deutsche Soldaten zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu schicken. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung des Landvolks als Stimmvieh ab. Die Wählerschichten, die die CDU anpeilt, sind jung, gebildet, urban und weiblich - Verbraucherinnen, die in den täglichen Konsumentscheidungen längst ideologiefrei nach der Biowurst greifen. Hier bekommt die Union durchaus Druck, sich zu bewegen.

Verbraucherschutz(!)ministerin Ilse Aigner (CSU) muss ihr Image loswerden, Schutzpatronin der Agrarindustrie zu sein. Denn was die Regierung angesichts der vielen Landtagswahlen im Jahr 2011 auf keinen Fall brauchen kann, ist eine Debatte darüber, warum sie nach den Hoteliers oder den Bankern schon wieder und immer noch eine kleine lautstarke Lobbygruppe bevorzugt. Sonst kommt noch jemand auf die Idee und fordert analog zum Ministerium für Bauern auch eines für Bäcker oder Elektriker. Die CSU hat sich wegen des Protests ihrer Basis ja bereits gegen die Gentechnik auf dem Acker ausgesprochen. Da könnte sich Ilse Aigner auch in dieser populären Frage an die Spitze der Bewegung setzen. Nichts hindert eine Ministerin daran, aus Schaden klüger zu werden.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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2 Kommentare

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  • DG
    Dirk Glaser

    Moin Herr Pötter,

     

    warum schmeissen sie die Bauern in einen Topf mit diesen Abzockern?

    Lesen sie ersteinmal den blog von Karl-Dieter Specht, dann wissen sie wo die Strippenzieher zu finden sind:

     

    "Deutscher Bauernverband: Wird er die Geister nicht mehr los, die er rief?

     

    Oder: Die Einsicht kommt (fast) zu spät!

     

    Anmerkungen vom SV Karl-Dieter Specht

     

     

     

    Born besorgt über Agrarstrukturentwicklung

     

    Besorgt über die Entwicklung der Eigentumsstruktur in der hiesigen Landwirtschaft hat sich der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Dr. Helmut Born, geäußert. „Ich halte das zunehmende Engagement außerlandwirtschaftlicher Kapitalanleger für sehr problematisch“, sagte Born. Es gebe ernsthafte Anzeichen, dass eine von Bauern getragene Landwirtschaft immer weiter unter Druck gerate, „wenn branchenfremde Investoren die Landwirtschaft als Renditeobjekt nutzen“. Keinen Zweifel lässt Born daran, dass er den Gesetzgeber gefordert sieht. Notwendig seien Änderungen der Grundstücksverkehrsgesetze und des Landwirtschaftsgesetzes(Quelle: AGRA-EUROPE).

     

    Anmerkungen:

     

    Erstaunliches vernimmt man vom Bauernverband. Jetzt, wo das Kind schon „fast“ in den Brunnen gefallen ist, schreit Born nach dem Staat. Bekommt der Bauernverband so langsam kalte Füße? Wird er die Geister nicht mehr los, die er rief? Wo war denn der Bauernverband als es darum ging, im Rahmen der Wiedervereinigung, die bäuerlichen Strukturen zu stärken? Im Gegenteil: Der industriellen Landwirtschaft a` la DDR wurde mit kräftiger Unterstützung des Bauernverbandes Bestandschutz gewährt. Eine solche gesetzliche Absicherung war und ist das gefundene Fressen für Großinvestoren. Was in ihren Ländern nicht möglich ist, erlaubt der Deutsche Staat den Investoren aus dem EU-Raum. Aktiengesellschaften bewirtschaften Latifundien in Größenordnungen von 10.000 ha – 30.000 ha auf besten Standorten. Da können die Bauern nicht mithalten! Zudem erhalten diese Kapitalgesellschaften noch öffentliche Gelder. Je größer - je mehr Kohle! Auch bei den Direktzahlungen sahnen sie kräftig ab. Ja größer - je mehr Kohle! Sie bauen die größten Biogasanlagen. Je größer – je mehr Kohle! Immer das gleiche Spiel! Allein die Holländer haben den Schweinemarkt in Ostdeutschland fest in ihrer Hand. Der“ Interessenpolitik“ des Bauernverbandes sei Dank. Dass diese industrielle Tierhaltung zu Lasten der bäuerlichen Betriebe geht, liegt auf der Hand. Das scheint nun auch der Bauerverband begriffen zu haben. Oder musste er es begreifen? Da hilft es nicht, dass Born kleinlaut Gesetzesänderungen fordert. Da muss sich der Bauernverband klar und deutlich -ohne Wenn und Aber- für die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft auch einsetzen! Und hier liegt der Hase begraben: In Wirklichkeit klammert sich der Bauernverband nach wie vor (oder immer noch) an die Philosophie des Wachsens oder Weichens um jeden Preis. Nach dem Motto: Unsere Agrarindustrie wird den Weltmarkt schon erobern! Koste es, was es wolle! Gerade diese überholte Philosophie ist die Ursache (fast) aller heute beklagenswerten Missstände. Jüngste Beispiele: Der Fall der Agrarindustriellen Astrid Grotelüschen (ehem. Landw.- Ministerin in Niedersachsen) und der Dioxin-Skandal sprechen Bände!

     

     

     

    Ø Die Schweinehaltung ist (fast) in industrieller Hand mit Hilfe des Bauernverbandes.

     

    Große Schweinekonzerne mit mehreren hunderttausend Tieren in Kooperation mit der Futtermittel- und Schlachtindustrie fühlen sich als Global-Player und wollen den Weltmarkt bedienen. Dabei werden bewusst Preise in Kauf genommen, zu denen die bäuerlichen Betriebe nicht produzieren können. Man will ganz einfach die bäuerliche Konkurrenz los werden. Das eigentlich für Landwirte gedachte Privileg des Stallbaus im Außenbereich wird mehr und mehr missbräuchlich von agrarindustriellen Investoren genutzt. Hinzu kommen noch staatliche Förderungsmittel, die diese Entwicklung noch beschleunigen.

     

     

    Ø Die Geflügelproduktion ist fest in industrieller Hand mit Hilfe des Bauernverbandes. In der Geflügelmast haben wir oligopolistische Zustände. Nur wenige Mastindustrielle beherrschen den Markt. Diese versuchen Bauern als Vertragslandwirte zu gewinnen, damit sie ihre Exportgelüste und damit den ruinösen Wettbewerb auf Kosten der Vertragsbauern ausleben können. Von einer wahren Partnerschaft kann hier keine Rede sein. Trotz sich anbahnender Überproduktion wird weiter investiert und die Bauern werden, auch vom Bauernverband dazu angehalten, mit auf den Expansionszug zu springen. Denn: Im Gegensatz zu den Investitionen der Mastindustrie, deren Haftung meistens begrenzt ist, haften die Bauern bei ihren Investitionen mit ihrem gesamten Vermögen. Wer hier das größte Risiko trägt, liegt auf der Hand!

     

     

     

    Ø Geht die Milchwirtschaft einen ähnlichen Weg mit Hilfe des Bauernverbands?

     

    Nach dem Willen der Milchindustrie wird die Milchwirtschaft den gleichen Weg einschlagen. Das Ziel ist identisch: Es gilt in Zukunft den globalen Markt zu erobern und zu bedienen. Und dieser Markt duldet keine auskömmlichen Preise. Deshalb müssen die Preise runter. D.h. nur Betrieben von über 300 Kühen (zurzeit) sind für diesen globalen Ritt gerüstet, so einige Wissenschaftler (von der Milchindustrie gesponsert?).

     

     

     

    Internationalisierung schreitet voran!

     

    Dazu Prof. Dr. Ludwig Theuvsen von der Uni Göttingen: „Die erfolgreiche Erschließung neuer geographischer Märkte ist eine der entscheidenden Herausforderung der Zukunft", ergänzt Theuvsen. Dabei gehe es nicht nur um die Erschließung neuer Absatzmärkte, sondern auch um die Besetzung strategischer Positionen, die Nutzung günstigerer Beschaffungskosten und die Sicherung der Rohstoffbasis(international). Hier wird deutlich, dass es schon lange nicht mehr um „den Milchbauern“ geht sondern um strategische Allianzen, in denen der Bauer nur Zaungast ist und lediglich seine Arbeitskraft ohne soziale Absicherung zur Verfügung stellen darf.

     

     

     

    Der Bauernverband ist mit von der Partie!

     

    Durch seine enge Verflechtung mit der Milchindustrie hat der Bauernverband diesem globalen Ritt nichts entgegenzusetzen(oder will es nicht). Die Geflügelwirtschaft und die Schweinehaltung hat er schon den industriellen Potentaten überlassen. Dass dabei bäuerliche Familienbetriebe zuhauf ins Gras beißen mussten und müssen, ist ein Teil der globalen Strategie. Der Bauernverband nennt das schlicht und ergreifend Strukturwandel.

     

    Herr Dr. Born: Verschießen Sie bitte keine Nebelkerzen- kommen Sie bitte zur Sache!"

     

    http://specht.over-blog.de/article-deutscher-bauernverband-wird-er-die-geister-nicht-mehr-los-die-er-rief-64815423.html

     

     

    Wir brauchen die offensive Unterstützung der Verbraucher. Jeder ausgegebene Euro entscheidet über den Weg, der eingeschlagen wird.

    Noch gibt es sie, die Familienbetriebe, wo die Tiere raus auf die Weide dürfen, gentechnikfreies Futter fressen und wo sie auch einmal einen schlechten Tag haben dürfen, ohne das gleich der Weg zum Schlachter droht.

    Ich wünsche mir, dass die Demo gegen die Massentierhaltung in Berlin am 22.Januar ein Riesenerfolg wird!

  • F
    Frank

    Unsere Agrarpolitik wird in erster Linie durch die Verordnungen und Zuschüsse auf europäischer Ebene bestimmt, auf einer zweiten Ebene ist es die Lobbyarbeit der Agrarverbände und Nahrungsmittelindustrie. Ich habe nicht das Gefühl, dass unsere jetzige konservative Regierung irgendetwas grundsätzlich ändern will.

     

    Zwei Kräfte können Änderungen bewirken. Erstens die Verbraucher mit ihrem Kaufverhalten; denn es gibt Alternativen. Zweitens die Bauern selbst, die im jetzigen System immer häufiger ein hohes Risiko eingehen, schuften und schlecht leben. Es gibt jetzt schon viele Biobauern, die ihre Produkte direkt an den Endverbraucher verkaufen, selbstbestimmt und dabei besser leben.

     

    Diese Regierung wurschelt sich dadurch, sonst nichts.