Kommentar doppelte Staatsbürgerschaft: Fetisch der Union
Ein Verzicht auf das überflüssige "Optionsmodell" im Staatsbürgerschaftrecht wäre sogar ein Beitrag zum Abbau der Bürokratie in Deutschland.
Daniel Bax ist Meinungsredakteur der taz.
Es war nur eine Frage der Zeit, wann das Thema wieder auf die Tagesordnung kommen würde. Denn schon als das neue Staatsbürgerschaftrecht im Jahr 2000 eingeführt wurde, war vielen klar, dass das "Optionsmodell" lebensfremd ist. Es sieht vor, dass Einwandererkinder, die in Deutschland geboren wurden und automatisch den deutschen Pass erhalten haben, sich frühestens mit 18, spätestens aber mit 23 zwischen diesem oder einem anderen entscheiden müssen - etwa dem des Landes, aus dem ihre Eltern stammen.
Rund 50.000 Einwandererkinder werden sich bis zum Jahr 2018 deshalb für oder gegen den deutschen Pass entscheiden müssen, schätzt die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer; die Ersten von ihnen schreibt ihre Behörde schon jetzt an. Dieser bürokratische Unsinn folgt dem faulen Kompromiss, den die damalige rot-grüne Regierung bei ihrer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts einging. Sie knickte damals vor einer Kampagne gegen die "doppelte Staatsbürgerschaft" ein, mit der Roland Koch und die Union fremdenfeindliche Ressentiments mobilisiert hatten.
Eine "Zumutung für die Kinder" nennt ein SPD-Politiker jetzt die "Optionspflicht"; ein anderer fürchtet, in den nächsten Jahren könnten Hunderttausende "zwangsausgebürgert" werden. Sie vergessen, dass ihre Partei selbst diese Regel eingeführt hat und dass ihr Parteikollege Otto Schily vor drei Jahren rund 50.000 Deutschtürken die deutsche Staatsbürgerschaft wieder entziehen ließ, weil diese nach ihrer Einbürgerung in Deutschland wieder einen türkischen Pass beantragt hatten.
Trotzdem ist es richtig, dass Sozialdemokraten jetzt fordern, in Deutschland geborenen Einwandererkindern den Doppelpass zu lassen. Die Union sperrt sich vor allem aus ideologischen Gründen dagegen. Wie schon mit dem Einbürgerungstest, will sie den deutschen Pass zu einem Fetisch erheben. Ihr Beharren auf nationale Eindeutigkeit lässt sich angesichts von Globalisierung, europäischer Integration und Bindestrich-Identitäten nur als unmodern und rückständig bezeichnen. Dabei wäre der Verzicht auf das überflüssige "Optionsmodell" sogar ein Beitrag zum Abbau der Bürokratie in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pressekonferenz in Mar-a-Lago
Trump träumt vom „Golf von Amerika“
Ende der Faktenchecks bei Meta-Diensten
Nicht abhauen!
Forderungen von Donald Trump
5 Prozent Verteidigungsausgaben, 100 Prozent Ablehnung
Habeck-Werbung in München
Grüne Projektion
Verkehrsranking
Das sind die Stau-Städte
Hörsaalbesetzung in Hellersdorf
„Free Palestine“ mit dem Segen von oben