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Kommentar direkte DemokratieEs mangelt an Erfahrung

Gernot Knödler
Kommentar von Gernot Knödler

Die Politik muss erst noch lernen, die Menschen früh in ihre Planungen einzubinden und Projekte offen zu debattieren.

D er Bericht von Mehr Demokratie zu den Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Niedersachsen zeigt vor allem eins: Es mangelt an Erfahrung - auch noch nach 15 Jahren. Zum Teil liegt das an der Art, wie die niedersächsischen Abstimmungen gestrickt sind.

Für Mehr Demokratie ist die Argumentationslage ideal: Ausgerechnet das als reaktionär verschrieene Bayern ist in puncto Bürgerentscheide weiter als Niedersachsen. Die Hürden dort sind niedriger, die Zahl der Entscheide ist entsprechend höher. Das Instrument wird dort seit Jahrzehnten genutzt, von einer Abschaffung ist nicht die Rede. So schlecht können die Erfahrungen dort nicht sein. Das Gleiche gilt für die Schweiz.

Nun gelten in Hamburg niedrige Hürden für Bürgerentscheide und dennoch gibt es Überlegungen, diese zu erhöhen. Das liegt an dem Eindruck, dass zu oft lokale Akteure Projekte, die im gesamtstädtischen Interesse lagen, blockierten. Eine Zeitung bat Passanten, offenkundig unsinnige Begehren zu unterzeichnen und hatte weithin Erfolg.

Doch auch in Hamburg sind Bürgerbegehren als breit eingesetztes Instrument noch jung. Trotz einer kritischen und handlungsmächtigen Bevölkerung lernt die Politik erst allmählich, die Menschen früh in Planungen einzubinden. Je offener und offensiver die Debatte geführt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, das Bürgerbegehren zur Verwirklichung des Bürgerwillens beitragen.

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Gernot Knödler
Hamburg-Redakteur
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4 Kommentare

 / 
  • A
    anke

    Das bundesdeutsche Baugesetzbuch stammt in seiner ältesten Fassung aus dem Jahre 1960. Es ist also keineswegs neu. Wäre es ein Mensch, bekäme es in 16 Jahren Rente, fünf Jahre eher als ich.

     

    Unter den ersten zehn Paragraphen des o.g. Gesetzes ist auch die formale Bürgerbeteiligung geregelt, und zwar so, dass, wer mag, aus den diversen Absätzen durchaus das Wirken einer gewissen Logik/Vernunft herauslesen kann. Die Verfasser haben lediglich vergessen darauf hinzuweisen, dass ihre Regeln nicht funktionieren werden, wenn die Adressaten (Bürger, Verwaltungen, Politiker und Investoren) nicht freiwillig und gleichberechtigt mitwirken an der Umsetzung, sondern jede potentielle Veränderung zur reinen Machtfrage aufblasen. Und die Adressaten sind von allein offenbar auch nicht darauf gekommen.

     

    Jetzt, nachdem diverse Flughäfen, Brücken, Bahnhöfe und Straßen in der öffentlichen Wahrnehmung um ein Haar zu Bürgerkriegsschauplätzen mutiert wären, bequemt sich die taz immerhin festzustellen, dass Demokratie so ja wohl nicht gemeint sein kann. Leider ist die Angst, den gehätschelten "Wutbürger", der hoffentlich ein Abo zahlt, zu verprellen, mal wieder größer als der Mut zur ganzen Wahrheit. Man tut, was man immer tut. Man rügt "die Politik". ("Die Verwaltung" und "die Investoren" bzw. "die Bauwirtschaft" kommen dieses Mal gänzlich unerwähnt davon.) Das ist billig, kommt an und tut keinem weh. Nicht einmal "der Politik", denn die braucht sich ja nicht erkennen im Spiegel, wenn sie nicht mag.

     

    Eben noch hat Gernot Knödler erstaunlich kritisch über "Akteure" berichtet, die "Projekte, die im gesamtstädtischen Interesse lagen, blockierten", wenn sie nicht perfekt in ihre ganz privaten Wohlfühlpläne passten, und die im Zweifel sogar "offenkundig unsinnige Begehren zu unterzeichnen" bereit waren, schon erkennt er in eben jenen "Akteure" den "kritischen und handlungsmächtigen" Bürger. "Der Politik" hingegen bescheinigt Knödler, sie müsse "erst allmählich [lernen], die Menschen früh in Planungen einzubinden". Fünf also. Setzen. Besser: Nachsitzen.

     

    Ist also der mündige, mächtige Bürger aus Sicht des Journalisten ein unerzogenes Kind, das von einer anonymen Politik notfalls auch gegen seinen Willen "qualifiziert" werden muss in Beteiligungsfragen? Womöglich gar in dem selben Stil, in dem der "handlungsmächtige" Bürger seinerseits Politik und Verwaltung zu "qualifizieren" trachtet? Und wenn ja, welche Rolle spielen dann Verwaltungen, Gerichte, Investoren und Unternehmen?

     

    Himmel! Ich fürchte, so wird das nichts werden mit der "offenen und offensiven Debatte", die Knödler angeblich vorschwebt. Und für den bundesweiten Durchbruch des Bürgerbegehrens, das in absehbarer Zeit "zur Verwirklichung des Bürgerwillens" (ist das der Wille des einzelnen Bürgers oder der Wille der Bürgermehrheit?) beitragen" wird, sehe ich auch schwarz.

     

    Demokratie, liebe taz, ist eben KEINE Machtfrage. Demokratie ist eine Frage der Vernunft. Und die, es mag dir gefallen oder nicht, ist keine Frage des Alarmismus, sondern eine gegenseitigen Vertrauens, das leider nur aus positiver Erfahrung und sehr, sehr viel Übung wächst. Dieses Vertrauen wird erfahrungsgemäß nicht größer sondern kleiner, wenn alle Augenblicke jemand meint, er müsste öffentlich seine überragende (Handlungs-)Macht demonstrieren.

     

    Wer zuerst aufhört mit dem Scheiß, ist mir völlig egal. Wichtig ist nur, dass der, der nicht den Mut dazu hatte, nachher nicht in der taz und anderswo verkünden darf, er wäre mutiger, stärker, klüger und überhaupt mächtiger als sein "Gegner" - und deswegen auch ganz allein im Recht. Der durchschnittliche (Medien-)Konsument, schließlich, ist desorientiert genug nach Jahrzehnten der aktiven neokonservativen Gehirnwäsche.

     

    Manchmal istlassen einfach besser als tun.

     

    Mutigen nachher nicht vorirft, er wäre (im Gegensatz zu ihm, dem Zweiten, ohnmächtig, feige oder dumm.

  • OD
    offen debatieren

    Jemand schrieb mal, unbliebsame Abstimmungen würde man dann eine Woche nach richtigen Wahlen legen oder die Fragen so kompliziert machen das keiner bescheid weiss:

    "Sind sie gegen die erweiterungssperr-löschung für das neue Schwimmbad (an den Schwager vom Bürgermeister) ?" statt "Ich will das neue Schwimmbad" "ich will das neue schwimmbad nicht" "enthalten" ...

     

    Ein Land in dem kein "( ) Enthalten" unten auf jedem Wahlzettel vorgeschrieben ist, kann sich gerne selber lupenreine Demokratie nennen... . Basta.

     

    Verfassungsrichter müssten aktiver sein. Die Expo-Ausstellung hat uns Gewinne versprochen. Jeder von Hannover hätte dafür gestimmt. Aber sicher nicht, wenn man Sicherheitsgeld für garantierte Gewinnsteuer-Zahlungen hätte hinterlegen müssen. Dasselbe (Limitierung der Überteuerung) müsste man bei Stuttgart21 machen.

    Wenn andere die Zeche zahlen, kann man gerne abstimmen.

    Demokratischer wirds davon nicht.

    Auch müssten vorher sinnvolle Vorschläge von jedem angstfrei machbar sein. Und für Versprechen ("unser freizeitspaßbad wird niemals verluste machen" "Stuttgart21 bleibt im Budget") bürgt man mit seinem Vermögen.

     

    Wenn Abstimmungen was wirken würden, würde die lokale GEZ von jedem Bundesland selber per Entscheid festgesetzt. Einmal pro Jahr votet man "+50 Cent" "-50 Cent" "+/-0 Cent" und die Gez wird dann erhöht oder verringert (um halt 50 Cent um Sprünge zu vermeiden) und das Budget ist vom Landesfunk einzuhalten.

     

    Offene Debatierung ginge per Internet. Leider protegiert es keiner. Die Programmierung ist einfacher als PlagWiki/VroniPlag. Aber Abmahnungen und Verfassungsklagen und Arbeitslosigkeit erspart man sich als Programmierer lieber.

    Und die Piraten interessiert es auch nicht. Die sind zu jung für Erwin Teufel und Gabriele Pauli oder die Verfolgung von Ströbele und glauben an das Gute im Politiker.

    Nichts wäre demokratisierender als eine Basis-App wo jeder per Internet im Fußballverein, Stadtverwaltung usw. mit unverbindlich legal konstruktiv "debatieren" und abstimmen kann.

    Leider sät das keiner um Miswirtschaft effizient abzugraben. Dann müsste man mit dem Privatvermögen schwören, das die Daimler-Chrysler-Funktion in 5 Jahren die versprochene Rendite bringt. Oder das man im Budget bleibt und die Differenz aus dem versteuerten Eigentum bezahlt. Usw.

    Das wäre Aufgabe der Presse. Die hat aber wenig Interesse. Siehe Sport-Ausschuss.

  • A
    anke

    Das bundesdeutsche Baugesetzbuch stammt in seiner ältesten Fassung aus dem Jahre 1960. Es ist also keineswegs neu. Wäre es ein Mensch, bekäme es in 16 Jahren Rente, fünf Jahre eher als ich.

     

    Unter den ersten zehn Paragraphen des o.g. Gesetzes ist auch die formale Bürgerbeteiligung geregelt, und zwar so, dass, wer mag, aus den diversen Absätzen durchaus das Wirken einer gewissen Logik/Vernunft herauslesen kann. Die Verfasser haben lediglich vergessen darauf hinzuweisen, dass ihre Regeln nicht funktionieren werden, wenn die Adressaten (Bürger, Verwaltungen, Politiker und Investoren) nicht freiwillig und gleichberechtigt mitwirken an der Umsetzung, sondern jede potentielle Veränderung zur reinen Machtfrage aufblasen. Und die Adressaten sind von allein offenbar auch nicht darauf gekommen.

     

    Jetzt, nachdem diverse Flughäfen, Brücken, Bahnhöfe und Straßen in der öffentlichen Wahrnehmung um ein Haar zu Bürgerkriegsschauplätzen mutiert wären, bequemt sich die taz immerhin festzustellen, dass Demokratie so ja wohl nicht gemeint sein kann. Leider ist die Angst, den gehätschelten "Wutbürger", der hoffentlich ein Abo zahlt, zu verprellen, mal wieder größer als der Mut zur ganzen Wahrheit. Man tut, was man immer tut. Man rügt "die Politik". ("Die Verwaltung" und "die Investoren" bzw. "die Bauwirtschaft" kommen dieses Mal gänzlich unerwähnt davon.) Das ist billig, kommt an und tut keinem weh. Nicht einmal "der Politik", denn die braucht sich ja nicht erkennen im Spiegel, wenn sie nicht mag.

     

    Eben noch hat Gernot Knödler erstaunlich kritisch über "Akteure" berichtet, die "Projekte, die im gesamtstädtischen Interesse lagen, blockierten", wenn sie nicht perfekt in ihre ganz privaten Wohlfühlpläne passten, und die im Zweifel sogar "offenkundig unsinnige Begehren zu unterzeichnen" bereit waren, schon erkennt er in eben jenen "Akteure" den "kritischen und handlungsmächtigen" Bürger. "Der Politik" hingegen bescheinigt Knödler, sie müsse "erst allmählich [lernen], die Menschen früh in Planungen einzubinden". Fünf also. Setzen. Besser: Nachsitzen.

     

    Ist also der mündige, mächtige Bürger aus Sicht des Journalisten ein unerzogenes Kind, das von einer anonymen Politik notfalls auch gegen seinen Willen "qualifiziert" werden muss in Beteiligungsfragen? Womöglich gar in dem selben Stil, in dem der "handlungsmächtige" Bürger seinerseits Politik und Verwaltung zu "qualifizieren" trachtet? Und wenn ja, welche Rolle spielen dann Verwaltungen, Gerichte, Investoren und Unternehmen?

     

    Himmel! Ich fürchte, so wird das nichts werden mit der "offenen und offensiven Debatte", die Knödler angeblich vorschwebt. Und für den bundesweiten Durchbruch des Bürgerbegehrens, das in absehbarer Zeit "zur Verwirklichung des Bürgerwillens" (ist das der Wille des einzelnen Bürgers oder der Wille der Bürgermehrheit?) beitragen" wird, sehe ich auch schwarz.

     

    Demokratie, liebe taz, ist eben KEINE Machtfrage. Demokratie ist eine Frage der Vernunft. Und die, es mag dir gefallen oder nicht, ist keine Frage des Alarmismus, sondern eine gegenseitigen Vertrauens, das leider nur aus positiver Erfahrung und sehr, sehr viel Übung wächst. Dieses Vertrauen wird erfahrungsgemäß nicht größer sondern kleiner, wenn alle Augenblicke jemand meint, er müsste öffentlich seine überragende (Handlungs-)Macht demonstrieren.

     

    Wer zuerst aufhört mit dem Scheiß, ist mir völlig egal. Wichtig ist nur, dass der, der nicht den Mut dazu hatte, nachher nicht in der taz und anderswo verkünden darf, er wäre mutiger, stärker, klüger und überhaupt mächtiger als sein "Gegner" - und deswegen auch ganz allein im Recht. Der durchschnittliche (Medien-)Konsument, schließlich, ist desorientiert genug nach Jahrzehnten der aktiven neokonservativen Gehirnwäsche.

     

    Manchmal istlassen einfach besser als tun.

     

    Mutigen nachher nicht vorirft, er wäre (im Gegensatz zu ihm, dem Zweiten, ohnmächtig, feige oder dumm.

  • OD
    offen debatieren

    Jemand schrieb mal, unbliebsame Abstimmungen würde man dann eine Woche nach richtigen Wahlen legen oder die Fragen so kompliziert machen das keiner bescheid weiss:

    "Sind sie gegen die erweiterungssperr-löschung für das neue Schwimmbad (an den Schwager vom Bürgermeister) ?" statt "Ich will das neue Schwimmbad" "ich will das neue schwimmbad nicht" "enthalten" ...

     

    Ein Land in dem kein "( ) Enthalten" unten auf jedem Wahlzettel vorgeschrieben ist, kann sich gerne selber lupenreine Demokratie nennen... . Basta.

     

    Verfassungsrichter müssten aktiver sein. Die Expo-Ausstellung hat uns Gewinne versprochen. Jeder von Hannover hätte dafür gestimmt. Aber sicher nicht, wenn man Sicherheitsgeld für garantierte Gewinnsteuer-Zahlungen hätte hinterlegen müssen. Dasselbe (Limitierung der Überteuerung) müsste man bei Stuttgart21 machen.

    Wenn andere die Zeche zahlen, kann man gerne abstimmen.

    Demokratischer wirds davon nicht.

    Auch müssten vorher sinnvolle Vorschläge von jedem angstfrei machbar sein. Und für Versprechen ("unser freizeitspaßbad wird niemals verluste machen" "Stuttgart21 bleibt im Budget") bürgt man mit seinem Vermögen.

     

    Wenn Abstimmungen was wirken würden, würde die lokale GEZ von jedem Bundesland selber per Entscheid festgesetzt. Einmal pro Jahr votet man "+50 Cent" "-50 Cent" "+/-0 Cent" und die Gez wird dann erhöht oder verringert (um halt 50 Cent um Sprünge zu vermeiden) und das Budget ist vom Landesfunk einzuhalten.

     

    Offene Debatierung ginge per Internet. Leider protegiert es keiner. Die Programmierung ist einfacher als PlagWiki/VroniPlag. Aber Abmahnungen und Verfassungsklagen und Arbeitslosigkeit erspart man sich als Programmierer lieber.

    Und die Piraten interessiert es auch nicht. Die sind zu jung für Erwin Teufel und Gabriele Pauli oder die Verfolgung von Ströbele und glauben an das Gute im Politiker.

    Nichts wäre demokratisierender als eine Basis-App wo jeder per Internet im Fußballverein, Stadtverwaltung usw. mit unverbindlich legal konstruktiv "debatieren" und abstimmen kann.

    Leider sät das keiner um Miswirtschaft effizient abzugraben. Dann müsste man mit dem Privatvermögen schwören, das die Daimler-Chrysler-Funktion in 5 Jahren die versprochene Rendite bringt. Oder das man im Budget bleibt und die Differenz aus dem versteuerten Eigentum bezahlt. Usw.

    Das wäre Aufgabe der Presse. Die hat aber wenig Interesse. Siehe Sport-Ausschuss.