Kommentar dezentrales Kraftwerk: Neue Ära der Stromwirtschaft
Das Projekt von Lichtblick zeigt, dass erneuerbare Energien "grundlastfähig" sind.
D er Ökostromer Lichtblick mischt zusammen mit Volkswagen den Strommarkt auf: 100.000 dezentrale Kraftwerke sollen bald in Kellern von Privathäusern stehen und jeweils dann laufen, wenn im Stromnetz Bedarf herrscht. Sie sollen damit als Ergänzung zu den erneuerbaren Energien dienen und deren Schwankungen ausgleichen.
Grundsätzlich neu ist das Konzept nicht. Seit dem Boom der erneuerbaren Energien gehört die Idee zum Standardrepertoire eines jeden Energieexperten. Aber gerade das macht die Ankündigung des Hamburger Unternehmens so spannend: Lichtblick will umsetzen, was bislang stets nur Theorie war.
Gleich zwei lähmende Debatten dürften damit auf einen Schlag beerdigt sein. Zum einen widerlegt das Projekt die längst bizarr gewordene Argumentation der Atomlobby, man brauche die Nukleartechnik, weil die erneuerbaren Energien nicht "grundlastfähig" seien. Springen künftig hochflexible Kleinkraftwerke immer dann ein, wenn der Wind schwächelt, verpufft damit das letzte vermeintliche Argument der Atombranche.
Die zweite Debatte betrifft die Ökostromer selbst. Denn Lichtblick zeigt, warum ökologisch orientierte Kunden unbedingt den Stromversorger wechseln sollten: um die Strukturen der etablierten Energiewirtschaft aufzubrechen. Leider dominierte stattdessen bislang eine oft kleinkariert geführte Diskussion um Ökostromlabel und darum, wie der wahre Ökostrom definiert ist. Doch Fakt ist, dass der rasante Ausbau von Windstrom und Photovoltaik nicht dem Ökostromhandel zu verdanken ist, sondern dem Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Das entscheidende Argument für den Stromwechsel liegt folglich darin, dass Stromgeld umgeleitet wird - weg von den Anbietern, die den Machtstrukturen der Atomlobby verhaftet sind, hin zu jenen, die eine Energiewende wollen. Das Unternehmen Lichtblick - in der Ökoszene manchmal kritisch beäugt, weil es weniger Charme hat als die Elektrizitätswerke Schönau, die aus einer Bürgerinitiative hervorgingen - zeigt mit dem neuen Projekt, dass es die Energiewende ernst meint. Mit dem Konzept hat eine neue Ära der Stromwirtschaft begonnen, die die Luft für die Atomkraft dünn werden lässt. Und dass Lichtblick dieses Projekt auch noch kurz vor der Bundestagswahl lanciert und damit die Atompropagandisten bloßstellt, macht die Sache besonders erfrischend.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links