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Kommentar anonymisierte BewerbungenWie man das Offensichtliche lernt

Ines Kappert
Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert und Ines Kappert

Das Familienministerium sagt: Bewerbungen ohne Angaben zu Geschlecht und Herkunft helfen, mehr Frauen und mehr MigrantInnen in Arbeit zu bringen. Glückwunsch!

D as zu recht viel gescholtene Familienminsterium macht etwas Sinnvolles. Hey, das darf nicht unerwähnt bleiben und auch nicht ungelobt!

Nicht genug, dass das über jeden Emanzipationsverdacht erhabene Haus der Kristina Schröder an einem Pilotprojekt teilgenommen hat, das folgendes herausfinden wollte: Was passiert, wenn Bewerbungen ohne Angabe von Geschlecht, Name und Alter eingereicht werden? Nein, es zieht sogar Konsequenzen aus dem Ergebnis und erklärt, von nun vermehrt auf anonymisierte Bewerbungen setzen zu wollen.

So habe die Auswertung von insgesamt 8.500 entsprechend geschwärzten Bewerbungen gezeigt, dass sie dazu beitragen, deutlich mehr Frauen, MigrantInnen und Älteren den Weg zum Bewerbungsgespräch ebnen. Endlich stehe die Qualifikation im Mittelpunkt. Glückwunsch!

Wolfgang Borrs
INES KAPPERT

leitet das Meinungsressort der taz.

Sollte das Familienministerium das Vorhaben umsetzen, dann werden sich auch andere Behörden fragen lassen müssen, warum sie an diskriminierenden Konventionen festhalten. Erste Ankündigungen dieser Art sind aus Baden-Württenberg und Rheinland-Pfalz bereits zu vernehmen. Soweit die gute Nachricht.

Im Schatten der Debatte blüht der Chauvinismus

Die lästige lautet: 2012 werden hierzulande mit viel Brimborium Projekte durchgeführt, die längst Bekanntes ermitteln. Nämlich, dass der deutsche Arbeitsmarkt seit Dekaden Nicht-Deutsche, Pass-Deutsche, Frauen und Mütter und Menschen Fünfzig Plus systematisch ausgrenzt. Alle wissen das, es wird ständig darüber berichtet, auf ersten Seiten der Zeitungen genauso wie im Mittelteil. Auch die für diese Diskriminierung im Einzelfall verantwortlich zeichnenden Personalabteilungen, auch sie handeln längst in der Kenntnis, dass sie deutsche, weiße Männer immer und immer wieder bevorzugen. Zumindest wenn sie lesen oder fernsehgucken können.

Genauso wissen die Medienunternehmen selbst um diesen Fakt - und arbeiten unverdrossen weitgehend ohne MigrantInnen und Frauen in verantwortlichen Positionen. Die Feier des weißen Mannes ist längst kein Lapsus mehr, wenn es denn je einer war. Es ist eine bewusste, es ist eine klare Entscheidung einer Elite, die unter sich bleiben möchte. So lange es irgend geht.

Vor diesem hässlichen Umstand verschließt die deutsche Öffentlichkeit gerne die Augen, denn sie liebt die Geschlechterfrage, die Migrantenfrage, die Mütterdebatte. Also liefern die Medien Futter, und die Verantwortlichen zucken die Schultern. Dank dieser Arbeitsteilung kann das immer so weiter gehen.

Zu früh gefreut

Doch aufgrund demographischen Entwicklung sei das ganze Problem sowieso bald ein alter Hut? Das meinen jetzt viele. Ja und Nein. Natürlich wird der steigende Fachkräftemangel auch den Nicht-Erwünschten vermehrten Einlass gewähren. Qualifiziert sind sie ja. Aus drei Prozent Frauen in Führungsetagen mach 15 Prozent. Attraktive Arbeitsplätze werden den Arbeitgebern aber weiterhin viel Gelegenheit zur Auswahl geben. Und die haben auf die mediale Normalisierung von qualifizierten Frauen und MigrantInnen im Arbeitsleben in Deutschland bislang stur mit Ausgrenzung reagiert. Im Schatten der Debattenkultur blüht der Chauvinismus.

Vielleicht ist es mit Sexismus und Rassismus, verschlagworten wir die vielfältigen Ausgrenzungsmechanismen mal so technokratisch, vielleicht ist es mit dem deutschen Arbeitsleben genauso wie man es der israelischen Regierung bezüglich möglicher Militärattacken nachsagt: Erst wenn die Entscheider aufhören pilotzuprojekten und zu reden, wird es ernst. In den allermeisten Personalabteilungen aber plaudert es sich noch ganz entspannt. Pilotprojekte werden ihnen nichts anhaben. Und die gesetzliche Quote ist noch weit.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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2 Kommentare

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  • B
    Besserwessi

    So isses. Und Ihr Artikel aendert auch nichts dran, tut mir auch weh.

     

    Uebrigens, in das Wort MigrantInnen haetten Sie auch noch

    ein tuerkisches i einbauen koennen, wie in

    Topkapı, das waer doch das nonplusultra der political correctness.

  • AG
    Anton Gorodezky

    Mensch, Israel und Bewerbungen, da war doch was: Spiegel: "Schöne Frau, schick besser kein Foto"

    aus dem Artikel (denn man mit einer Suchmaschine leicht finden kann):

    "Männer können bei Bewerbungen mit ihrem Aussehen punkten. Frauen nicht - ganz im Gegenteil. Attraktive Bewerberinnen sollten sich Bewerbungsfotos lieber sparen, raten israelische Forscher. Und woran liegt's? An Personalerinnen und ihrer Angst vor Rivalinnen."

     

    Die Diskriminierung von weißen Frauen gegenüber weißen Männern beruht also zumindest in Israel anscheinend nicht auf veralteten Rollenvorbildern und Chauvinismus sondern schlicht und ergreifend auf weiblicher Konkurrenzangst.

     

    Deshalb fordere ich eine Quotenregelung für Personalabteilungen: dort sollen wenigstens 50% Migranten und Migrantinnen (oder deren Nachfahren und Nachfahrinnen) und am besten 80% Männer arbeiten. Das macht Quoten in anderen Abteilungen überflüssig denn eine solche Personalabteilung wird eher geneigt sein, nach objektiven Kriterien Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einzustellen.

     

    Liebe Frau Kappert: die Studie hat nur die Wirkung von anonymisierten Bewerbungsverfahren untersucht. Es können gar keine Aussagen über die Gründe vorher stattgefundener Diskriminierung aus der Studie abgeleitet werden. Also lassen Sie das doch bitte - und ziehen dafür Untersuchungen zu Rate, die sich mit der Frage beschäftigen.