Kommentar Zivilisten-Austausch Syrien: Zeichen der Hoffnung?
Der Austausch von Zivilisten in Syrien ist nur scheinbar ein Hoffnungszeichen, denn andere Verhandlungen platzten. Die Opposition ist vielstimmig.
F ast 400 Zivilisten, überwiegend Frauen, Kinder, Alte und Verletzte aus den beiden lange von radikalislamistischen Milizen belagerten Ortschaften Fua und Kafreja im Nordwesten Syriens wurden evakuiert. Auf dem Umweg über die Türkei und den Libanon wurden sie in die – für sie hoffentlich tatsächlich sichere – syrische Hauptstadt Damaskus transportiert.
Diese Nachricht aus einem Kriegsgebiet, in dem zehntausende Menschen zum Teil seit Jahren in völlig von der Außenwelt abgeschnittenen Orten, Regionen oder Stadtteilen vegetieren müssen, ist ohne Einschränkung positiv. Allein aus zwingenden humanitären Gründen und völlig unabhängig von den ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten dieser Menschen oder ihren politischen Loyalitäten.
Das gilt selbst dann, wenn die Evakuierung dieser Zivilisten Teil einer Vereinbarung gewesen sein sollte, unter der auch 330 regierungstreue schiitische Kämpfer nach Beirut und 125 sunnitische Rebellen in die Türkei ausgeflogen wurden sowie mit Hilfe des Roten Kreuzes 123 verletzte Kämpfer und Zivilisten aus Sabadani, der letzten Rebellenbastion an der Grenze zum Libanon, evakuiert wurden. Auch das wäre eine gute Nachricht, vorausgesetzt, die ausgeflogenen Kämpfer beteiligen sich künftig nicht mehr am Krieg in Syrien und kehren zumindest bis zum Eintreten eines stabilen Waffenstillstandes nicht dorthin zurück.
Die Evakuierungen und die Ausschaffung der Kämpfer wurden unter Vermittlung der UNO zwischen der Regierung und diversen Rebellengruppen ausgehandelt. Das zeigt, es gibt inzwischen zumindest indirekte Gesprächskanäle. Auch das ist eine positive Entwicklung angesichts der Tatsache, dass Syriens Präsident Assad noch bis vor kurzem sämtliche Oppositionsgruppen pauschal als „Terroristen“ gebrandmarkt hat, die zu vernichten seien.
Andere Abkommen platzten
Sind die Ereignisse der Beginn einer positiveren Entwicklung in Syrien? Werden sie sich fortsetzen und möglichst schnell verdichten zu einem Netz aus immer mehr lokalen Waffenstillständen und von Kämpfern jeglicher Couleur befreiten Zonen, worum sich UNO-Vermittler Staffan de Mistura bereits seit seinem Amtsantritt im Sommer 2014 bemüht? Im Interesse der geschundenen Zivilbevölkerung wäre nichts mehr zu wünschen.
Doch möglicherweise sind diese Ereignisse nur das Ergebnis der Bemühungen diverser Kriegsakteure, im Vorfeld der ab 25. Januar geplanten Verhandlungen zwischen der Regierung und einer „gemeinsamen Oppositionsdelegation“ das militärische Schlachtfeld zu arrondieren und sich auf dem politischen Schachbrett besser aufzustellen. Insbesondere mit Blick auf die aktuelle wichtigste Streitfrage, wer an der Delegation teilnehmen darf und wer nicht.
Auf diese Interpretation deutet das vergangene Woche geplatzte Abkommen über den Abzug von Kämpfern diverser Rebellengruppen und des „Islamischen Staat“ aus Damaskus. Es platzte, nachdem entweder syrische oder russische Luftstreitkräfte den Anführer der islamistischen Miliz Dschaisch al-Islam töteten, die zumindest nach Meinung Saudi-Arabiens, der Türkei sowie möglicherweise auch der USA in der gemeinsamen Oppositionsdelegation vertreten sein muss.
In Damaskus, Teheran und Moskau steht diese Miliz allerdings neben dem IS und der Al-Nusra-Front auf der Liste von Terrorgruppen, die keinen Platz am Verhandlungstisch erhalten, sondern weiter militärisch bekämpft werden sollen. Solange das Gerangel unter den diversen Oppositionsgruppen und ihren ausländischen Unterstützern weitergeht und keine gemeinsame Verhandlungsdelegation zu Stande kommt, kann sich die Regierung Assad der Welt als einziger verhandlungsbereiter Kriegsakteur präsentieren und muss die ebenfalls noch völlig offene Frage nicht beantworten, wer eigentlich für sie am Verhandlungstisch in Genf sitzen soll.
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