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Kommentar Wulff und MerkelUnangenehm, aber beherrschbar

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Wulff führt konservative Werte ad absurdum und entlarvt damit auch die kühle Machtpolitik der Kanzlerin. Ein Rücktritt ihres Präsidenten wäre kein Unglück für Merkel.

C hristian Wulff ist Merkels Problem. Mit dieser Deutung versuchen SPD und Grüne im Moment, die Kampflinie in der Präsidentenaffäre zu verschieben. Um es gleich zu sagen: Die Opposition hat recht. Natürlich ist Wulff Merkels Präsident, sie hat den parteiinternen Konkurrenten und abgebrühten Politikprofi aus durchschaubaren Motiven ins Amt gehoben – und sich damit verkalkuliert.

Die Affäre birgt für sie vor allem eine Gefahr. Wulffs Verhalten zielt aufs Selbstverständnis der Christdemokraten. Der Präsident führt Werte ad absurdum, die der Konservatismus gerne gepflegt sehen will: Anstand, Aufrichtigkeit und Rückgrat.

Indem Wulff tagtäglich beweist, wie wenig sie ihm bedeuten, entlarvt er zugleich die kühle Rechnung der Kanzlerin. Merkel mag seine Kapriolen verabscheuen, aber sie stützt Wulff weiter, aus rein machttaktischen Erwägungen heraus. Ebenso verhielt sie sich bei Karl-Theodor zu Guttenberg, dem zweiten Vorzeige-Konservativen, der sich als Hochstapler erwies.

Bild: Anja Weber
Ulrich Schulte

leitet das Parlamentsbüro der taz.

Hier liegt ein Problem für die Kanzlerin, die auch den programmatischen Kurs der Partei biegsam den Realitäten anpasst: Teile des CDU-Milieus werden ihren Kurs und ihre Personalpolitik ablehnen und 2013 zu Hause bleiben.

Doch wahr ist auch: Eine akute Staatskrise, wie es manche Oppositionspolitiker suggerieren, wäre ein Rücktritt Wulffs keineswegs. Für Merkel wäre er zwar unangenehm, aber beherrschbar. Ein Kandidat oder eine Kandidatin, den oder die SPD mitwählen würde, ließe wohl sich finden – Sigmar Gabriel bietet eine Zusammenarbeit ja bereits an.

Auch das Signal, das ein solcher Konsens für einen neuen Präsidenten setzen würde, käme der Kanzlerin gelegen. Schließlich ist eine große Koalition für sie 2013 die wahrscheinlichste Machtoption.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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8 Kommentare

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  • VL
    vergessene Liebe

    Ja Ja... @ wessinger !

    Irgendwie... empfinde ich diese ganze Hetzkampagne gegen Bundespräsident Wulff... wie "heisse Luft und ohne wirkliche Substanz"...

    Er ist eben gewissen ökonomischen- Banker und Polit- Welten "unliebsam" geworden... weil er, als moralisch- ethische Idealfigur der Republik kontroverse Themen ansprach.. und sich den Imperativen des "göttlichen" des Max Weber verweigerte ( Meckels Essay..)

    Herr Wulff mag (so vermute ich) "etwas naive" auf die Solidarität des Volkes zu seiner Amtsführung vertrauend, gefangen im Impetus seiner eigenen Ehrlichkeit und guten Gewissens... den juristisch kalten Angriff der Springerpresse gegen ihn, wie "einen Dolch im Rücken" empfunden haben. Und agierte so schreckgelähmt und wehrlos gegen die entwürdigende Hetzjagd gegen seine Person.

    In allen Punkten ist er jedoch, als Präsident der BRD moralisch- ethisch superior zu Berlusconi, zu Ex USA präs. Bush und Clinton etc.!!!

    Könnte ich sagen, dass die BRD heute, zu barbarisch ist um Kristian Wulff als B.P. zu verdienen ? Weil er nicht genug "reissender Wolf" im Namen der herrschenden Neokonservativen Ideologie ist?

    Rein historisch intuitiv... vernehme ich Beziehungen der einstigen "SPRINGERPRESSE" Logik, wie (R.I.P.) Rudi Dutschke von Springer&Co gehetzt und schliesslich "gekreuzigt" wurde... zur gegenwärtigen eiskalten Jura- Springer- Logik... um Christian Wulff ans "Kreuz zu schlagen"...

    Das heutige Problem ist m.E. nicht Christian Wulff!(ok, er muss lernen !!)

    Das heutige problem ist, wie 1968 - 72 etc... die verlogene und mörderische Machtlogik der Springerpresse !!!

    Und dieses Problem ist nicht gelöst, wenn C.W. nun die Konsequenzen zieht und sein Amt, dessen er sehr würdig ist, verlässt !

    C.W. ist immerhin ein Präsident für Transparenz und Aufklärung! Das sage ich, obwohl ich links von CDU einzuordnen bin !!!

    Ich bin froh das es die TAZ gibt !!!!

  • N
    Normalo

    "Der Präsident führt Werte ad absurdum, die der Konservatismus gerne gepflegt sehen will: Anstand, Aufrichtigkeit und Rückgrat."

     

    Ich kann mir leider unmöglich die Spitze verkneifen, dass im Gegenschluss diese Werte wohl linken Zeitgenossen weniger wichtig sein sollen. Schönes kleines Eigentor, passt allerdings auch zu der unglaublich aufgesetzt wirkenden Bierernst-Miene, die man von Oppositionsvertretern immer sieht, wenn sie sich zum Thema Wulff äußern.

     

    Nun aber zurück zu Merkels Problem: Sie hat denselben "Fehler" gemacht wie Schröder vor ihr, nämlich zum Präsidenten einen mächtigen Politprofi zu küren. Man kann ihr keinen Vorwurf machen, dass sie in der kurzen Zeit, die ihr der Rücktritt von Köhler ließ, Wulff nicht vollständig auf solche Zeitbomben wie seinen Hausbaukredit abklopfen konnte. Aber sie hätte sich - leider, aber so ist die Welt nun einmal - auch ohne Prüfung ausrechnen können, dass ein solcher Politprofi mehr Dreck am Stecken hat als ein Juraprofessor oder ein Sparkassendirektor. Gleiches galt ja ein paar Jahre vorher auch schon bei Rau.

     

    Nun erinnert sich aber kein Mensch mehr an die Flugaffäre des ehrenhaften, salbungsvoll daher schwodronierenden Bruder Johannes, und just dahin kann auch Wulff kommen. Merkel muss nur, wieder wie ihr Vorgänger, die Geschichte einfach aussitzen - und hoffen, dass Wulff nicht zu viel Anstand im Leib hat und ebenfalls durchhält.

  • R
    reblek

    "abgebrühter Politikprofi" - Wenn Wulff das wäre, und nicht ein überengagierter Egoist, dann müsste und könnte Herr Schulte seine Texte und Kommentare nicht schreiben. Denn dann hätte Wulff die bekannten Böcke nicht geschossen.

  • N
    naseweiser

    Schulte : "Der Präsident führt Werte ad absurdum, die der Konservatismus gerne gepflegt sehen will: Anstand, Aufrichtigkeit und Rückgrat. "

     

    Übersetzt man "Werte" , bezogen konkret auf "die" Politik und "die" Politiker , so könnte man formulieren : Werte sind die Selbstverständlichkeiten , die alle Politiker auch im poltischen Kampf einzuhalten und hochzuhalten bereit sind .

    Bezogen auf den Begriff Anstand bedeutet die Selbstverständlichkeit : Politiker lassen sich nicht von interessierter Seite (von reichen "Freunden") Luxusurlaube schenken .

    "Aufrichtigkeit" bedeutet : mehrfach hintereinander nur die halbe Wahrheit in einer Sache zu sagen , heißt : eine ganze Lüge . Ein Politiker , der die Öffentlichkeit belügt , muß gehen .

     

    Und "Rückgrat" bedeutet hier konkret , dass ein bei einer Lüge ertappter Politiker auch geht .

     

    Ein Präsident Wulff , der nicht geht , beschädigt nicht nur das Amt für alle Zukunft , er beschädigt die politsche Kultur in Deutschland .

  • J
    Jojas

    Merkel dürfte auch insofern nicht betroffen von Wulffs Eskapaden sein, als daß sie als ein vom Typ her grundsätzlich anderer Mensch wahrgenommen wird. Während Wulff profillos aber wie aus dem Ei gepellt still vor sich hin repräsentierte, kann man dies von Merkel nicht behaupten - trotz aller Passivität oder Wankelmütigkeit.

     

    Das Äußere:

     

    Wulff: Fesch, adrett, sauber, "distinguiert"

    Merkel: ein bißchen wie Mutti, wenn sie sich schick macht fürs einmal alle 12 Monate Essen gehen

     

    Der Intellekt:

     

    Wulff: Schwer zu sagen, nicht wirklich wahrnehmbar

    Merkel: Definitiv zur Genüge vorhanden

     

    Pers. Charme:

     

    Wulff: Wirkt antrainiert

    Merkel: Wenn es ihr die Umstände erlauben, ist sie sehr charmant - manchmal sogar kokett, was einen wirklich aus den Socken hauen kann

     

    Das Fachliche:

    Wulff: Kommt beim BuPrä nicht wirklich zur Geltung, ansonsten keine Ahnung

    Merkel: Ist ein Arbeitstier und multikompetent (Vermutung)

     

    Die Integrität:

    Wulff: Lol

    Merkel: Wird sich wohl erst wirklich zeigen, wenn in 50 Jahren ihre geheimen CIA-Akten freigegeben werden. Bis dahin: Naja...

     

    Alles in allem spielt Merkel verglichen mit Wulff klar in einer anderen Liga. Sie ist die Eiche und er der Pinscher, der dagegen rennt, oder wie war der Spruch? Wie dem auch sei, es ficht sie allenfalls als persönliche Schlappe, welche sie abends vorm Kamin frustriert das Weinglas in die Ecke schmeißen läßt, ansonsten nich'...

  • W
    wessinger

    Sehr ehrenwert, daß Sie sich so Sorgen machen um das Wohl der CDU und sich hiermit als Beraterin von Frau Merkel empfehlen, Herr Schulte.

    Ihnen ist aber entgangen, dass Sie gerade Opfer einer Medienkampagne geworden sind, die einen Mann aus dem Bundespräsidentenamt entfernen will, der neuen Finanz-Gesetzen, sprich ESM, im Wege sein könnte.

    Das hat die Presse eben nicht laut und deutlich verkündet, dass dieser Präsident sich sehr kritisch gegenüber Banken geäussert hat, so kritisch, dass sie richtig sauer waren.

    Schliesslich geht es da immer um sehr viel Geld. Und bei Geld hört der Spaß auf.

    Man lese etwa seine Rede vor dem Bankenkongress, die auf der Homepage des Bundespräsidenten ( googeln..) nachzulesen ist. Das Handelsblatt sprach jedenfalls von einer Standpauke und Backpfeige für die Banken:

     

    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/wulff-und-merkel-warnen-vor-neuer-krise/4010478.html?p4010478=all

     

    Dann gibt es seine Rede vor den Nobel-Preisträgern in Lindau, wo er sich ebenfalls sehr kritisch zu Banken äusserte.

    Zusammengefasst kann man den wahren Hintergrund dieser Kampagne hier lesen:

     

    http://www.godmode-trader.de/nachricht/Das-Bauernopfer,a2729785.html

     

    Horst Köhler hat übrigens eine ähnlich kritische Rede gehalten. 14 Tage später war er weg vom Fenster. Das war seine Rede:

     

    http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2010/04/20100429_Rede.html

  • V
    viccy

    Aber wenn Merkel das so gelegen käme (neuer BP mit SPD), weshalb lässt sie es umgehend und obendrein sehr deutlich zurückweisen?

  • N
    Nils

    "Der Präsident führt Werte ad absurdum, die der Konservatismus gerne gepflegt sehen will: Anstand, Aufrichtigkeit und Rückgrat."

     

    Wulff war nicht der erste CDU-Politiker, der dies tat, und er wird diesbezüglich auch nicht der letzte CDU-Politiker sein. Und trotzdem wird sich an der öffentlichen Wahrnehmung der CDU nie was ändern. Anstand und Aufrichtigkeit werden immer deren wahrgenommene "Kernkompenzen" bleiben. Auch nach Sex-Skandalen mit jungen Mädchen, diversen Schwarzgeldaffären, Falschaussagen, Liebäugeleien mit rechtem Populismus, Klüngeleien mit Wirtschaftsbossen usw. Komisch eigentlich, aber wahr.