Kommentar Wikileaks-Veröffentlichungen: Nur die unteren Chargen bestraft
Die Reaktionen auf die Wikileaks-Veröffentlichungen zeigen, dass auch Präsident Obama nicht bereit ist zu einem völkerrechtlichen Neubeginn nach acht dunklen Bush-Jahren.
M it Empörung und der Behauptung einer Gefährdung ihrer "Sicherheitskräfte" sowie mit dem Vorwurf einer "Medienkampagne" versuchen die Regierungen in Washington und Bagdad bislang abzulenken von den brisanten Inhalten der von Wikileaks veröffentlichten Geheimdokumente zum Irakkrieg.
Die Frage politischer und strafrechtlicher Konsequenzen bleibt auch in der bisherigen Medienberichterstattung völlig unterbelichtet. Die Dokumente belegen zahlreiche Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße der USA gegen die - von Washington ratifizierten - Genfer Konventionen. Nach dem Völkerrecht tragen die USA auch die Verantwortung für die während ihrer Besatzung von Irakern verübten Gräuel.
In weniger als fünf Prozent all dieser Verbrechen hat die Justiz der USA überhaupt Ermittlungen aufgenommen. Lediglich eine Handvoll unterer Chargen wurde verurteilt zu meist geringen Gefängnisstrafen. Die militärischen Befehlsgeber und politischen Verantwortlichen für die Verbrechen bis hin zu Präsident Bush und seinem Vize Cheney blieben unbehelligt.
Andreas Zumach berichtet für die taz aus der Schweiz.
Ein derart eklatantes Versagen der nationalen Justiz hat im Fall anderer Staaten - zum Beispiel Sudan - zur Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofs (ISTGH) geführt, dem die USA nicht beigetreten sind. Die Reaktionen aus der US-Regierung auf die Wikileaks-Veröffentlichungen zeigen, dass auch Präsident Obama leider nicht bereit oder nicht in der Lage ist zu dem einst von ihm angekündigten völker-und menschenrechtlichen Neubeginn nach den acht dunklen Jahren der Ära Bush.
Damit werden die seit 1945 international vereinbarten Völker- und Menschenrechtsnormen weiter ausgehöhlt und die nach Ende des Kalten Krieges erzielten politischen und institutionellen Fortschritte beim internationalen Strafrecht zunehmend infrage gestellt.
Das Verhalten der Führungsmacht der westlichen Demokratien nutzt Diktaturen, die sich weit schwererer Verbrechen schuldig gemacht haben als die USA in Irak. So wird etwa die Legitimität des internationalen Haftbefehls gegen den sudanesischen Diktator Bashir und die völkerrechtliche Verpflichtung, ihn an den ISTGH auszuliefern, immer mehr in Zweifel gezogen.
Und das nicht nur von Regimen, die wegen ihrer Verbrechen selbst ein Verfahren des ISTGH befürchten müssen, sondern sogar von unabhängigen Menschenrechtsaktivisten.
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