Kommentar Whistleblower Urteil: Auch Strafanzeigen sind erlaubt
Das Urteil des Straßburger Gerichts für Menschenrechte zugunsten der Altenpflegerin ist gut für Whistleblower. Auch wenn der Fall sehr speziell ist.
D er Erfolg der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch ermutigt andere Whistleblower. Heinisch hatte ihren Arbeitgeber angezeigt, weil er gute Pflege versprach, dies nach ihrer Ansicht aber nicht erfüllte. Sie wurde gekündigt, mit Billigung der deutschen Justiz. Der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte hat dies jetzt beanstandet.
Trotzdem ist dieser Fall etwas speziell. Es ging weniger darum, ob sich eine Beschäftigte in ihrer Gewissensnot überhaupt an die Öffentlichkeit wenden darf, sondern vor allem um die Form und den Inhalt ihrer Anschuldigungen.
Tatsächlich hatte der strafrechtliche Vorwurf des Betrugs etwas Dramatisierendes. Neben den konkreten Missständen wurde dabei zugleich eine kriminelle Profitgier des Pflegeheim-Betreibers angeprangert. Der Betrugsvorwurf war nun aber auch nicht völlig abwegig, wie das Landesarbeitsgericht Berlin meinte. Wenn ein Betreiber die vereinbarte Pflege mit dem vorhandenen Personal schon rein rechnerisch gar nicht erfüllen kann, dann darf man das Wort Betrug schon mal in den Mund nehmen. Dass die Staatsanwaltschaft zunächst gar nicht ermittelte, spricht nicht gegen den Vorwurf - vermutlich hatte sie einfach keine Lust, nun zur Oberaufsicht über alle Pflegeheime Berlins zu werden.
ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Freiburg.
Trotz des begrüßenswerten Straßburger Urteils ist der Vorgang unter dem Strich alles andere als erfreulich. Brigitte Heinisch bekommt nun zwar etwas Schadensersatz, aber kaum ihren Arbeitsplatz zurück. Auf der anderen Seite ist Vivantes zwar die aufmüpfige Pflegerin los, hat nun aber einen doppelten Imageschaden: wegen schlechter Pflege und Missachtung von Grundrechten.
Der Fall zeigt: Unternehmen sollten mit interner Kritik konstruktiv umgehen, statt zu mauern und zu mobben. Dann haben alle etwas davon: die Beschäftigten, der Arbeitgeber und - hier - auch die Bewohner der Pflegeheime.
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