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Kommentar WehrpflichtBesser ganz abschaffen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Bevor das Bundesverfassungsgericht immer wieder über die Wehrpflicht entscheiden soll, gehört sie besser abgeschafft. Attraktive Angebote für Freiwillige sind die Alternative.

D ie Wehrpflicht ist ein massiver Einschnitt in das Leben junger Männer. Der Staat verlangt neun Monate Dienst für wenig Geld unter unangenehmen Bedingungen. Nach dem Wegfall des Kalten Kriegs lässt sich dieses gewaltige Sonderopfer kaum noch rechtfertigen. Die Wehrpflicht gehört schleunigst abgeschafft, weil sie als Grundrechtseingriff völlig unverhältnismäßig ist.

Bild: taz

Christian Rath ist Rechtskorrespondent der taz.

Die Wehrgerechtigkeit, mit der sich das Bundesverfassungsgericht jetzt auseinandersetzen musste, ist dabei nur ein Nebengleis der Diskussion. Zwar stimmt es, dass derzeit nicht einmal jeder fünfte junge Mann eines Jahrgangs eingezogen wird. Doch die plakative Zahl unterschlägt einfach die Kriegsdienstverweigerer und ihren Ersatzdienst. Zu Recht hat das Verfassungsgericht eine komplexere Sicht gefordert. Es kommt damit also auch in Zukunft für die Wehrgerechtigkeit nur darauf an, dass möglichst viele "verfügbare" Wehrpflichtige einberufen werden.

Dass es für Unmut sorgt, wenn fast jeder zweite junge Mann von vornherein nicht verfügbar ist, weil er als untauglich ausgemustert wird, liegt zwar auf der Hand. Aber nur ein kleiner Teil davon geht auf die Verschärfung der Tauglichkeitskriterien zurück.

Verfassungsrechtliche Zweifel lösen aber zwei Zahlen aus: Rund 50.000 Männer pro Jahrgang werden gar nicht gemustert und fallen so aus der Statistik. Und 30.000 Männer werden nicht eingezogen, weil sie die Altersgrenze von 23 Jahren erreicht haben. Diese Gruppen kann man schlecht als gesetzliche Ausnahmen von der Wehrpflicht einstufen. Hier wäre noch Spielraum für mehr Wehrgerechtigkeit.

Besser aber ist es, sich gar nicht auf diese Diskussion einzulassen und die Wehrpflicht gleich ganz abzuschaffen. Bundeswehr und Sozialverbände müssen und können die Lücken dann mit attraktiven Freiwilligen-Programmen füllen. Auf das Bundesverfassungsgericht braucht man dabei nicht zu warten. Es hat dem Gesetzgeber in einem Urteil von 2002 größtmöglichen Freiraum eingeräumt, ob er die Wehrpflicht beibehalten oder abschaffen will. Diesen Freiraum sollte der Bundestag nutzen und die Wehrpflicht zumindest aussetzen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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11 Kommentare

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  • P
    Peter

    @ Andreas:

     

    Selbst wenn "nach Berechnungen" aus den neun Monaten ein Jahr wird:

     

    Zeigen Sie mir mal den zwanzigjährigen Berufsanfänger, der durch die Wehrpflicht märchenhafte "80.000 Euro brutto im Durchschnitt" verliert!

     

    Ihre phantastischen "Berechnungen" möchte ich mal sehen.

     

    Ansonsten ein ganz hübscher, neoliberaler Ansatz - Kohle machen statt Wehrpflicht!

     

    Aber sicher doch...

  • A
    Andreas

    Jeder der dienen muss, verrichtet nicht nur einen Zwangsdienst. Er verliert 9 Monate eigentlich aber ein Jahr in seinem Beruf und damit ein Jahresverdienst, welches sich in seiner größe zudem nach dem letzten Verdienstjahr orientiert, da das erste ja nur verspätet angetreten wird. Der finanzielle Verlust beträgt so nach Berechnungen ca. 80.000 Euro brutto im Durchschnitt. Hinzu kommt, dass Dienende auch bezüglich der Rente gegenüber Nichtdienenden schlechter gestellt werden. Wer also dienen muss, wird doppelt und dreifach bestraft. Dass demgenüber ein Gewinn steht, ist abhängig vom Einzelnen. Meinen eigenen Wehrdienst bezeichne ich auch heute noch als die langweiligste und sinnfreieste Zeit meines bisherigen Lebens.

     

    Oh ja, jeder Dienende ist Opfer einer unfähigen Gesellschaft und Politik das Unvermeidliche, die Abschaffung einer massiven Ungerechtigkeit und Unsinnigkeit, endlich durchzusetzen. Deutschland ist in der freien Welt inzwischen fast alleine mit seiner Wehrpflicht, dagegen aber in guter Gesellschaft mit Ländern wie China, Russland und Nordkorea.

  • P
    Peter

    USA und GB haben Berufsarmeen.

     

    Eine Berufsarmee ist immer ein Getto ganz eigener Art für die chancenlose Unterschicht.

     

    Ach ja... woran erinnerte Küppersbusch heute in seiner Kolumne?

     

    Die Berufsarmee - die Reichswehr - war der Totengräber der Weimarer Republik!

  • KK
    Klaus Keller

    Kein Zusammenhang !!

    Zwangsdienste sind abzuschaffen!

     

    Wie wäre es aus den Zivildienststellen normale Jobs zu machen auch wenn diese bezuschußt werden müssen?

    Es bleibt der Verdacht das viele den Wehrdienst insgeheim mit dem Ersatzdienst begründen.

     

    Das Verteidigungsministerium wird eher künstlich die Zahl der Eingezogenen in die höhe treiben was Jung auch schon andeutet als über mangelnde Wehrgerechtigkeit die Wehrpflicht zu riskieren.

    Diese sind auch wenn nur im Innland eingesetzt billige Hilfskräfte und man installiert eine Zwangsprobezeit für event. freiwillig längerdienende mit minimalem Gehalt.

     

    Es geht hier aber auch um die Aufwuchsfähigkeit der Armmee d.h. im Bedarfsfall aus 1.000.0000 Reservisten 1.000.000 Soldaten machen zu können.

     

    klaus keller hanau

  • D
    denninger

    Oh ja, Christian, "Besser aber ist es, sich gar nicht auf diese Diskussion einzulassen und die Wehrpflicht gleich ganz abzuschaffen." schreibst Du und träumst von "attraktiven Freiwilligenprogrammen".

    Was ist denn so schlecht daran, dass junge deutsche Männer verpflichtet sind, neun Monate lang der Gesellschaft zu dienen?

    Weil es lästig ist? Nun, viele Pflichten sind lästig aber das ändert nichts an der Verpflichtung.

    Vielen wird es ganz gut tun, einmal weg von "Hotel Mama" oder der "Generation Spaß"-WG zu kommen und etwas für die Gemeinschaft (ob als Wehrpflichtiger oder Zivildienstleistender) zu tun.

    Übrigens, die Transparenz der Bundeswehr beruht auf dem System der Wehrpflicht. Eine reine Freiwilligenarmee kann leicht zum Staat im Staate werden. Und genau das wollen wir ja alle nicht.

  • HS
    Horst Schmidt

    Es ist schon bezeichnend:

    Wenn nur ein Teil der Männer eingezogen wird, ist das furchtbar ungerecht. Dabei war die Wehrpflicht schon immer ungerecht, denn Frauen sind immer noch davon befreit. Die Wehrpflicht war und ist Sexismus in Reinform.

  • G
    gregor

    Solange nur die Männer, aber nicht die Frauen wehrpflichtig sind, kann es heute keine Wehrpflichtgerechtigkeit geben.

  • D
    Diether

    Die Bedeutung der Wehrpflicht hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges gewandelt. Die aktive Verteidigung unseres Landes steht nun nicht mehr im Vordergrund, sondern die Vorwärts-Verteidigung in anderen Gegenden des Globus. Mal abesehen davon, ob das die Väter der Grundgesetzes gut geheißen hätten oder der NATO-Vertrag diesen Einsatz deckt, ist das Einspannen von jungen Leuten in einen strengen Rahmen, in dem sie gefordert werden und Kollegialität erleben, nicht verkehrt. Das muss nicht die Bundeswehr sein, es kann auch der Einsatz in vielfältigen Aufgabenbereichen sein, die den persönlichen Horizont durch das Kennenlernen unbekannter Problemlagen erweitern und die Bereitschaft zum Einsatz für andere stärkt. In diesem Sinne wäre ich dafür, dass für alle nicht zur Bundeswehr eingezogenen jungen Männer ein sozialer Einsatz verpflichtend ist, der über die den zivilen Ersatzdienst Leistenden hinausgeht. Für junge Frauen wäre das übrigens auch keine schlechte Idee.

  • P
    Peter

    "Gewaltiges Sonderopfer" von neun Monaten Dienst?

     

    Geht's vielleicht 'ne Nummer kleiner?

     

    Meine Dienstzeit in den Achtzigern, in der Spätzeit des Kalten Kriegs, dauerte fette zwanzig Monate.

     

    Ich habe sie genervt und zähneknirschend abgeleistet - aber mich nie als "Opfer" gefühlt.

     

    Aber schon die Leinenpflicht für Hunde heißt ja neuerdings schon "Leinenzwang"...

  • RM
    Regine Metes

    Da der Wehrdienst, was die Verfügbarkeit anbelangt, offensichtlich nicht mehr funktioniert, und weil - wenn man ihn ernst nimmt - jeder dazu verurteilt ist, mit der Waffe töten zu lernen (wenn man nicht von vornherein den Dienst verweigert), sollte man ihn gleich abschaffen und durch eine Armee ersetzen, in der die dienen, die es sich auch ausgesucht haben.

    Aber ich bin gar nicht der Meinung, daß es ein zu großes Opfer wäre, wenn jeder junge Mensch ein soziales Jahr absolvieren müßte - und es schadet auch überhaupt nichts, wenn er das für wenig Geld täte: Dienst am Sozialstaat.

  • JK
    Josef König

    Die wiederholten und mehrfachen Versuche in den zurückliegenden Jahren -und hier liegt Köln eindeutig an der Spitze (womöglich doch einer der FDP nahestehender Richter) über Vorlagenbeschlüsse nach 100 GG sind erfolglos und werden es auch nach den vielfachen Entscheidungen des BVG zu nichts mehr führen. Über eine geeignte und zweckmäßige Wehrform für deutsche Streitkräfte möge bitte der Primat der Politik entscheiden. Uns selbst eine mögliche Regierung Schwarz-Gelb wird das tun, was Rot- Grün auch getan hat: Wehrstrukturkommission ... wie wie vielte?