Kommentar Wehrpflicht: Stirb langsam
Seit Jahren dreht sich die Wehrpflichtdebatte um Lebenslügen. Der Sparzwang der Regierung ermöglicht endlich eine ökonomische Diskussion über den Zwang zum Militär.
W er hätte gedacht, dass Karl-Theodor zu Guttenberg so schnell zum Liebling von Grünen und Linken avanciert? Und auch die FDP begrüßt, dass der Verteidigungsminister in seinem Haus sowohl die Verkleinerung der Truppe als auch die Aussetzung der Wehrpflicht durchrechnen lässt.
Nun dient dies vermutlich ja vor allem der Sammlung von Verhandlungsmasse für die Sparklausur der Bundesregierung am Sonntag. So kann Guttenberg am Wochenende vor seine KabinettskollegInnen treten und sagen: Ihr könnt zwischen drei Sorten Ärger wählen. Entweder wir verkleinern die Bundeswehr, schließen 100 Standorte und bringen so den gesamten Militärapparat gegen uns auf. Oder wir streichen ein halbes Dutzend Rüstungsprojekte vom Kampfhubschrauber bis zum Raketenabwehrsystem und haben die gesamte Rüstungsindustrie und deren Standortlobbyisten, sprich die Ministerpräsidenten, am Hals. Oder wir setzen die Wehrpflicht aus und opfern ein viel besungenes ideelles Gut der Union.
Weil dann sicherlich CDU und CSU sofort rufen: Wehrpflicht weg, das geht gar nicht!, wird man Guttenberg Rückhalt beim Kampf gegen Generalität und Ministerpräsidenten zusagen - und einen vielleicht etwas kleineren Sparbeitrag von ihm in Kauf nehmen.
Doch selbst wenn dies herauskäme, so hätte Guttenberg der Diskussion über die militärische Verfasstheit der Republik dennoch einen großen Dienst erwiesen. Denn die Wehrpflichtdebatte dreht sich seit Jahren nur um Vermutungen und teils auch Lebenslügen, die auf Erfahrungen aus Weimarer Zeiten fußen - nur die Wehrpflicht verhindere einen "Staat im Staate" etc. Der Sparzwang der schwarz-gelben Regierung aber ermöglicht es nun, endlich die Ökonomie der Wehrpflicht zu diskutieren: So mag die Abschaffung der Wehrpflicht kurzfristig eine dreistellige Millionensumme sparen, Volkswirtschaftler aber sind sich bislang durchaus nicht einig, ob Berufsarmeen am Ende nicht doch teurer sind als Wehrpflichtarmeen - selbst wenn sie in der Regel wesentlich kleiner sind.
Eines aber sind Berufsarmeen nicht: friedlicher. Eine neue deutsche Berufsarmee wäre das Gegenteil des behäbigen Beamtenapparats, den die Republik jetzt hat. Sie wäre schmaler, ganz auf Auslandseinsätze ausgerichtet, schlagkräftiger. Sie wäre Guttenbergs Traumtruppe - nicht die der Opposition.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Krieg im Nahen Osten
Definitionsmacht eines Genozids
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Verhandlungen mit den Grünen
Und was ist mit dem Klima?
Sondierung und Klima
Ein Kapitel aus dem Märchenbuch
Grünen-Realo Sergey Lagodinsky
„Vollgas in die Sackgasse tragen wir nicht mit“