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Kommentar Wehrpflicht in ÖsterreichBigotte Alpenrepublik

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Die Bewohner Österreichs haben die Wehrpflicht gerettet, weil sie die Zivildienstleistenden nicht verlieren wollen. Eine krude und ignorante Entscheidung.

Wenn Österreicher die Wahl zwischen Sicherheit und Experimenten haben, dann … Bild: dpa

K arl-Theodor zu Guttenberg tat gut daran, den Wehrdienst in Deutschland auszusetzen, ohne die Bevölkerung zu befragen. Große Reformen kommen ja meist schlecht an. Ganz besonders in Österreich. Und Plebisziten ist es leider eigen, dass die Sachfragen durch demagogische Manipulation überlagert werden.

So ist es symptomatisch, dass der Wehrdienst in einem im Grunde pazifistischen Land nur dadurch verteidigt werden konnte, dass der damit verknüpfte Zivildienst als unentbehrlich betrachtet wird. Zwar votierten die Jungen, die es noch unmittelbar angeht, gegen den Zwangsdienst, doch wurden sie von den Älteren, denen angedroht wurde, der Rettungswagen würde ohne Zivis zu spät kommen, überstimmt.

Das Argument, dass die Wehrpflicht mangels realistischer Bedrohungsszenarien längst ihre Daseinsberechtigung eingebüßt hat, verfing nicht. Schließlich braucht man Soldaten, um Sandsäcke zu füllen, wenn das nächste Hochwasser kommt. In einigen Gemeinden ließen die Bürgermeister Rekruten in den Tagen vor der Volksbefragung zum Schneeschaufeln ausrücken.

privat
Ralf Leonhard

ist taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn.

Dass man jungen Männern in den Kasernen wertvolle Lebenszeit stiehlt, wollte ausser den Betroffenen kaum jemand so sehen. Ein bißchen Disziplin, so war aus manchem Politikermund zu hören, könne nicht schaden. Reformbedarf sieht man nur bei den Leerläufen. Die Zeit, die jetzt mit Gewehrputzen, Stiefelputzen oder Bettenbauen aus der Sicht der Jungmänner viel zu langsam verrinnt, soll jetzt mit „Sinn“ gefüllt werden. Also mehr Marschieren, Exerzieren, im Schlamm robben und im Panzer über die Äcker fahren.

Die Konsequenz ist vorhersehbar: jene, die zum Bundesheer gingen, weil sie da nur sechs Monate verlieren während der Zivildienst mindestens acht Monate dauert, werden sich besser überlegen, ob sie wirklich mehr militärischen Drill und Gehorsamsübungen für ihr Leben brauchen. Hoffentlich drängt sich mangels Zulauf in ein paar Jahren die Frage nach Berufsarmee oder Wehrpflicht wieder auf.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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19 Kommentare

 / 
  • I
    isengrimus

    Als Österreicher, der schweren Herzens für die Wehrpflicht gestimmt hat, muss ich sagen, dass der Autor von der perversen Situation, in der die Volksbefragung stattfand, keine Ahnung hat.

     

    Während sich alle im Nationalrat vertretenen Parteien sich darin einig sind, die Neutralität Österreichs als ein nicht weiter zu beachtendes Relikt zu betrachten, das eigentlich lästig ist, wenn man militärisch mit den Großen mitmischen will, allerdings dummerweise nominal nicht zu entsorgen ist, weil die Mehrheit der Bevölkerung diese beibehalten will.

     

    Wer jedoch der Meinung ist, dass ein österreichisches Heer im Ausland nichts zu suchen hat, dass es am besten überhaupt kein Heer geben sollte, hatte entweder die Möglichkeit gar nicht hinzugehen, ungültig zu stimmen oder (mit Bauchweh) für die Wehrpflicht zu stimmen, um ein Berufsheer zu verhindern.

     

    Denn die Befürworter des Berufsheeres haben auch keinen Zweifel daran gelassen, dass dieses effizienter für Einsätze im Ausland sein soll. Es wurde auch deutlich, dass das Heer sich auf sein Kerngeschäft, Kriege zu führen, besinnen solle. Die Mehrheit der Österreicher wollte allerdings lieber, dass das Heer lieber in erster Linie im Katastrophenschutz tätig ist.

     

    Auch die Argumentation vom "Zwangsdienst" verfing nicht wirklich. Wie auch? Es besteht Schulpflicht und später ist die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gezwungen ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Lebenszeit wird den Menschen so oder so gestohlen. Auf die paar Monate mehr oder weniger kommt es da dann auch nicht mehr an. Außerdem gibt es für diejenigen, die nicht zum Heer wollen, den Zivildienst. Also niemand MUSS zum Heer.

     

    Die Befürworter des Berufsheeres haben dann noch deutlich gemacht, dass die Beibehaltung der Wehrpflicht einer Abschaffung des Heeres gleichkommen würde, weil die Ausbildung der Rekruten so viele militärische Kapazitäten binde und die 6 Monate viel zu kurz seien.

     

    Man mag sich grundsätzlich fragen, welche Fragen der Bevölkerung vorgelegt werden sollen. Allerdings über die wirklich grundsätzlichen Fragen der letzten Jahre durften wir nicht abstimmen. Etwa auch nicht über den Vertrag von Lissabon oder den Fiskalpakt.

  • S
    Seppel

    Die Überschrift des Artikels hätte auch "Demokratie? Nein danke!" heißen können.

  • JE
    Jan Engelstädter

    Ein sich intellektuell mit dem Thema auseinandersetzender Kommentator hätte sich vielleicht gefragt, warum der Anteil an Wehrpflicht-Befürwortern positiv mit der Wahlbeteiligung korrelierte oder warum die Wiener SPÖ-Großkopfeten die Stimmung im Rest des Landes falsch eingeschätzt haben (nur in Wien hatten die Berufsarmeebefürworter eine Mehrheit).

     

    So aber empfinde ich den Kommentar eher als Versuch der Rache eines schlechten Verlierers.

  • TM
    Thomas Müller

    Volksbefragungen sind eben doch kein Allheilmittel. Bei dem Beschneidungsgesetz sind 70 % dagegen (Richtig!), bei der Wehrpflicht sind (in Österreich) 60 % dafür (ganz falsch!). Man sieht, für Volksbefragungen braucht man eine gewisse Reife. Ich empfinde großes Mitleid für die jungen Männer in Österreich und fordere sie auf doch nach Deutschland zu kommen. Wer möchte schon in einem Land leben, das offenbar kein Gespür für Gerechtigkeit und die Zeichen der Zeit hat.

  • V
    vic

    Niemand braucht Militär. Niemand.

    Ja zum Militär um Zivildienst zu rechtfertigen, ist wiklich saudumm- In D, in A und sonstwo.

  • P
    petronius

    ich kann michael nur recht geben

     

    meine meinung zur "direkten demokratie", wie sie in a ebenimmer schon von den parteien instrumentalisiert wurde, hat sich bestätigt

  • A
    Andreas

    Schlimm, wenn man erleben muss, dass Vorurteile doch keine sind, sondern Realität. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass die Wehrpflicht in Deutschland endlich Geschichte ist. Die Argumente, die in Österreich gegen die Wehrpflicht vorgebracht wurden, gab es auch in Deutschland und keines der vielen Befürchtungen trat nach dem Ende der Wehrpflicht ein. Ganz im Gegenteil kann sich der Bundesfreiwilligendienst vor Freiwilligen kaum retten und die Bundeswehr kann die Ungeeigneten endlich aussieben, was vorher gar nicht möglich war. Es ist mir auch unbegreiflich wie man als Frau für die Wehrpflicht eintreten kann. Etwas unanständigeres kann ich mir kaum vorstellen. Aber auch das Verhalten der älteren männer ist mehr als schäbig. Nur weil man selber den Unsinn mitmachen musste, gönnt man es den jüngeren Männern nicht, dass es ihnen besser geht.

  • TR
    Thorsten Reinert

    Die Österreicher.

    Die Haider-Wähler.

    Die Heldenplatz-Jubler, die sich bis heute als erste "Opfer" Hitlers gerieren, dabei war Hitler Österreicher, und sie haben ihm gedankt, dass sie "heim ins Reich" kamen.

    Jetzt haben sie für die Männer-Diskriminierung gestimmt. Im Verein mit den Quoten-Feministinnen.

    Die alten stinkigen Ösi-Nazis, die alten stinkigen.

  • WS
    Wolfgang Schmid

    Schwache Polemik, wie so oft in der taz.

     

    Ein Jahr zu dienen - egal ob in Armee oder Freiwilligendienst - ist nur für den verlorene Zeit, der mit dem Staat nichts anzufangen weiß.

     

    Das Konzept des Bürgers in Uniform als Gegenentwurf zum Kabinettsheer ist darüber hinaus ein zutiefst freiheitliches Konzept. (Selbst die NVA sah sich als "Volks-Armee" und hat in der Zeit der Wende nicht aufs eigene Volk geschossen - anders als die rechten Freikorps, die von den Sozialdemokraten 1919 nach Berin gerufen wurden...) Aber mit bürgerlichen Freiheiten tun sich linke Schreiber traditionell schwer...

  • S
    Sterzgams

    Berufsheer führt zur NATO, was wirklich das Letzte ist, was Österreich braucht. Besonders in ländlichen Gebieten, wo man sein Land noch gerne hat (ich weiß, was für ein Skandal), hat man massiv für die Wehrpflicht gestimmt. Warum wohl? Wegen der Zivildiener? Na sicher nicht.

     

    Dieser Artikel ist klassisch. Ein typisch arroganter links-lastiger Piefke.

     

    Das österreichische Volk hat abgestimmt, aber Demokratie pastt Leuten wie Herr Leonhard nur, wenn sie ihm das gibt, was er will. Wenn sie zu ungewollten Resultaten führt, dann ist sie schlecht. Typisch für ein Land, das so kollektiv meschugge ist wie Deutschland.

  • MD
    Michael der Finne

    Ich frage mich, liegt es eher an Bigotterie oder an Faulheit, wenn so einseitige Beiträge zu einem so leckeren Thema geschrieben werden? "Krude" war wohl nicht die direktdemokratische "Entscheidung" der Österreicher - die Situation war es dafür umso mehr. Das wäre doch ein gefundenes Fressen für jeden kritischen Schreiberling, der sich für Österreich interessiert:

     

    Da wäre die parteipolitische Ebene, auf der alles auf dem Kopf steht, die schlechte Vorbereitung der Volksbefragung mit unklaren Formulierungen und vage definierten Konzepten, die katastrophale Informations- bzw. Propagandapolitik im Vorfeld der Befragung, die ungelösten Reformpläne, die Finanzierung, you name it. Es ist derzeit praktisch unmöglich, ohne Satire und Polemik über die Politik in Österreich zu schreiben - es sei denn man hat nur ein ödes "Die-Wehrpflicht-muss-weg" - Mantra im Kopf...

     

    Ich bin auch kein Freund der Wehrpflicht - ich finde alle Einwohner eines Landes bzw. Angehörige einer Gesellschaft sollten etwas nützliches für die Allgemeinheit leisten (müssen). Da jedoch leider nichts auch nur annähernd meinen Ansichten Entsprechendes zur Wahl steht, muss ich mich notgedrungen mit der politischen Realität begnügen, und versuchen, das Schlechte vom völlig Hoffnungslosen zu trennen und die geringeren Übel zu finden.

     

    Übel gibt es bei diesem Thema mehr als genug; auf allen Seiten. Doch es erstaunt mich, dass viele kritische Stimmen, (die nicht aus dem konservativen Lager kommen), so unkritisch gegenüber Berufsarmeen sind!

  • R
    robertino

    Der Sinn der Abschaffung der Wehrpflicht ist es, zu verhindern, daß (autochthone) junge Männer den Umgang mit Waffen erlernen.

     

    Das haben die Österreicher offenbar kapiert.

  • A
    albert

    In diesem derStandard-Artikel werden die Beweggründe angeschaut:

    http://derstandard.at/1358304095358/Wehrpflicht-Befuerworter-wollten-vor-allem-Zivildienst-erhalten

  • M
    Michael

    Als Österreicher muss ich ein bisschen relativieren. Das große Problem dieser Abstimmung war, dass hier viel zu viele Themen und Tatsachen in einen Topf geschmissen wurden:

     

    - Österreich ist neutral und nicht bei der NATO.

     

    - Österreich hat ein veraltertes Heer mit großen finanziellen Schwierigkeiten.

     

    - Österreich hat die Wehrpflicht und einen Wehrersatzdienst (Zivildienst), welcher fast um die Hälfte länger ist als der eigentliche Wehrdienst.

     

    - Das österreichische Rettungssystem, sowie teile der Alterspflege usw., bauen teilweise massiv auf der (spottbilligen) Arbeit von Zivildienern auf.

     

    Jetzt kann man natürlich gegen die Wehrpflicht sein, weil sie die jungen Menschen einschränkt, oder eben auch gegen ein Berufsheer, weil die Gefahr besteht, dass letzteres sich vielleicht einfacher zur Verletzung der Neutralität missbrauchen lässt. Vor allem im Hinblick auf eine etwaige Militarisierung der EU muss man mit großer Vorsicht überlegen, wofür man hier wirklich einstehen will. Ja, man könnte sogar überhaupt gegen jedwedes Heer sein.

     

    Man kann auch unterschiedliche Meinungen zum Zivildienst haben, so z.B. für ein freiwilliges soziales Jahr einstehen.

     

    Die 2 Wahlmöglichkeiten der Volksbefragung hatten nur leider mit all diesen Überlegungen nicht viel zu tun. Die zwei Großparteien haben dieses Thema für ein Politikum missbraucht, in dem schlussendlich 2 Möglichkeiten zur Wahl standen, für die alle obengenannten Fakten und Probleme in einen Saftmixer gequetscht wurden, bis nur noch eine tarnfarbene Masse über war.

     

    Dass die Abstimmung dennoch so eindeutig ausgefallen ist, liegt wohl eher daran, dass eine der Varianten quasi für "Es soll alles so bleiben wie es ist" eingestanden ist. Die 2 Wahlmöglichkeiten waren dermaßen unscharf skizziert, dass niemandem so richtig klar war, wofür hier überhaupt abgestimmt wurde.

  • S
    sigibold

    Lieber Herr Leonhardt,

     

    Schreiben Sie doch gleich richtig was sie denken. Das österreische Volk ist zu blöd die richtige Entscheidung zu treffen. Vielleicht wollen die Österreicher aber keine Rambotruppe, die eine Berufsarmee immer irgendwie ist. Und wenn Soldaten im Katastrophenschutz beschäftigt werden tun sie etwas durchaus Sinnvolles. Die Österreicher haben deutlich ihre Meinung kungetan und da sollte ein taz Redakteur nicht nachtreten. Demokratie bedeutet vor Allem auch, dass auch andere Meinungen als die eigene zum Zuge kommen können. Schon mal davon gehört Herr Leonhardt?

     

    sigibold

  • F
    Fofi

    Nach, damals, 18 Monaten unfreiwilligem Staatsdienst weiß ich, was mir gestohlen wurde. Warum will eigentlich niemand über Ausbeutung reden?

  • SB
    Siegfried Bosch

    Was für ein sexistisches Volk! Wie können sie nur so die Gleichberechtigung mit Füßen treten!

    Übrigens offenbaren die Behauptungen a la "Ein bisschen Disziplin hat noch keinem geschadet" Misandrie, da es schließlich nur auf Männer angewandt wird. Aber darüber schweigen die Medien wieder einmal.

  • RG
    Reinhard Getzinger

    Ein sehr unsachlicher, tendeziöser Artikel.

    Die Österreicher haben sich anders entschieden, als Herr Leonhard sich´s gewünscht hat.

    Daß die Motive zur Beibehaltung der Wehrpflicht nur am Rande etwas mit den eigentlichen Aufgaben des Militärs zu tun hatte, dafür umso mehr ein Votum für Katastophenschutz der Armee und der Beibehaltung des Zivildienstes war,mag stimmen, hat aber mit Bigottterie rein gar nichts zu tun.

  • U
    Ute

    Sicher, dass die Bevölkerung nicht auch deshalb so abstimmte, weil sie keine Söldnertruppe haben will?

     

    Aber wem Karl Theodor ein Vorbild ist...