Zutiefst entsetzt über solch einen Kommentar in der taz würde ich hier gern auf ein paar Punkte im Einzelnen eingehen:
"Rechtlich entstehen dadurch keine Risiken."
Sollte im Bundestag eine Koalition die Mehrheit erhalten, obwohl oder sogar w e i l sie weniger Stimmen als die anderen Fraktionen bekommen hat und vor allem, weil sie ein entsprechendes Urteil vor der Wahl nicht umgesetzt hat, obwohl sie es konnte und von dem Risiko wusste, wäre der Schaden am Ansehen der Demokratie so groß, dass eine Wahlprüfung das auch nicht mehr richten könnte.
"Nun wird zwar noch einmal nach einem "verfassungswidrigen" Wahlrecht gewählt, bei dem "negative Stimmeffekte" auftreten können. Das heißt, der Wähler kann in extremen Einzelfällen der Partei, die er wählt, schaden.
Herr Fehndrich von Wahlrecht.de hat das hier ja bereits erläutert, unter selten verstehe ich bei mehr als 6 Millionen betroffenen Wählern (und vom Ergebnis wären ja eigentlich alle Wahlberechtigten betroffen) etwas anderes.
"Der Effekt ist aber so selten und kompliziert, dass es - verglichen mit Wahlrechtsproblemen etwa im Iran - um ein echtes Luxusproblem geht."
Ob ein Effekt kompliziert ist oder nicht, wenn er verfassungswidrig ist und große Auswirkungen hat, gehört er beseitigt. Und ich halte es für ein großes Problem, Bundestagswahlen mit "Wahlen" im Iran zu vergleichen, soweit sind wir doch hoffentlich noch nicht gekommen, oder?
"Auch das Bundesverfassungsgericht hat frühere Klagen gegen negative Stimmeffekte abgelehnt."
Es gab zwei Wahlprüfungsbeschwerden zur Bundestagswahl 1998, u.a. von den gleichen vier Richtern ohne Begründung abgelehnt, die 1997 das Überhangmandatsurteil fällten. Warum sie das taten, braucht man dann wohl nicht lange zu überlegen. Die Wahlprüfungsbeschwerden zu den folgenden Wahlen 2002 und 2005 sind erst im letzten und in diesem Jahr entschieden worden.
"Auch die Überhangmandate, die entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate holt, als ihr nach den Zweitstimmen Sitze zustehen, hat Karlsruhe nicht verboten."
Karlsruhe hat die Regelung für verfassungswidrig erklärt, die zum Entstehen von internen Überhangmandaten führt. Externe Überhangmandate, gegen die die Entscheidung nichts gerichtet ist, sind bisher noch n i e bei Bundestagswahlen aufgetreten.
"Wir haben nun mal ein Wahlrecht, bei dem auch die Direktwahl im Wahlkreis eine Rolle spielt."
Die Wahl in den Wahlkreisen wäre vom im Bundestag vorliegenden Gesetzentwurf nicht berührt. Überhangmandate erhöhen aber die Zahl der Listenmandate – ein Ergebnis von Überhangmandaten ist somit die Schwächung der Direktwahl im Wahlkreis.
"Das Bundesverfassungsgericht hält sogar ein reines Mehrheitswahlrecht für zulässig."
Selbst bei einem reinen Mehrheitswahlrecht wirkt sich die Stimme für einen Kandidaten entweder nicht oder positiv aus, niemals aber negativ!
"Es wäre letztlich verdächtiger, wenn das Wahlrecht kurz vor der Wahl geändert werden würde, als es beizubehalten"
Es wäre verdächtiger, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dem wohl wichtigsten Bereich unserer Demokratie umzusetzen? Hier fällt auch mir nichts mehr dazu ein ...
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