Kommentar Wahlen in Ex-Jugoslawien: Schub für die Demokratie
Die direkten Bürgermeisterwahlen in Kroatien, Bosnien und andernorts hat dafür gesorgt, dass unabhängige Kandidaten die nationalistischen Parteien erfolgreich herausfordern können.
S eit die Bürgermeister direkt vom Volk gewählt werden können, gibt es in einigen Regionen Exjugoslawiens einen Demokratisierungsschub. Die von der EU geförderten Wahlrechtsänderungen in Kroatien, Bosnien und anderen Ländern des "Westbalkans" haben sich bisher ausgezahlt - und die etablierten Parteien fürchten um ihre Pfründen: So musste die in den kroatischen Gemeinden als "Staatspartei" auftretende konservative "Kroatische Demokratische Gemeinschaft" (HDZ) in den Großstädten jetzt unabhängige Kandidaten an sich vorbeiziehen lassen.
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent für die Länder Exjugoslawiens. Er lebt und arbeitet in Split, Kroatien.
Protest gegen alte Strukturen und Hoffnung auf neue Ideen im Zuge der EU-Integration spülten in Split, der zweitgrößten Stadt des Landes, einen erfolgreichen Geschäftsmann in das höchste Amt, in anderen Städten erzielten die unabhängigen Kandidaten respektable Ergebnisse. In der einstigen Hochburg serbischer Kriegsverbrecher, der ostbosnischen Stadt Foca, wurde letztes Jahr der linke, nichtnationalistische Kandidat Zdravko Krsmanovic mit über 60 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt. Zwar muss der gute Mann gegen einen Gemeinderat regieren, in dem seine "Sozialisten" nur mit zwei Sitzen vertreten sind. Doch er gewann als starke Persönlichkeit trotz der Drohungen der nationalistischen Machthaber in der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina.
Der Wahlerfolg der Unabhängigen hängt natürlich an den individuell überzeugenden Kandidaten. Aber das ist auch in Ordnung so: Quereinsteiger mit neuen Ideen, Leute aus der Zivilgesellschaft, Menschen mit dem Ruf, die Stadt oder die Region fit zu machen für die EU, werden ermutigt, ihnen zu folgen. Die ideologisch festgefahrenen Verhältnisse können so wenigstens regional aufgebrochen werden. Die Demokratisierung von unten hat begonnen. Und das ist kein Wunschdenken mehr.
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