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Kommentar Wahl in KasachstanSteigbügelhalter der Anarchie

Marcus Bensmann
Kommentar von Marcus Bensmann

Die Despoten in Zentralasien werden vom Westen umgarnt – für Öl und Gas. Da stören auch keine fantastischen Wahlergebnisse wie in Kasachstan.

K asachstan reagiert auf die arabische Despotendämmerung mit Fantasiewahlen. Der seit 1989 regierende Präsident Nursultan Nasarbajew siegte am Sonntag mit gefakten 95 Prozent. Eine von Nepotismus und Korruption zerfressene Staatsmacht führt in Kasachstan zu steigenden Preisen und schlechten Berufschancen der Jugend, im Vergleich zu seinen zentralasiatischen Nachbarn geht es dem Land dank des Rohstoffreichtums aber noch gut.

In Zentralasien regieren 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion in Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan autokratische Präsidenten, deren Familien und Herrschaftseliten die Reichtümer der jeweiligen Länder ausbeuten. In Turkmenistan und Usbekistan sind Pressefreiheit und unabhängige Zivilgesellschaft ausgeknipst, die Menschen sind Geiseln des staatlichen Willkürapparates.

In Kasachstan und Tadschikistan gibt es Ansätze einer unabhängigen Presse und legalen Opposition, sie stehen aber unter Druck und können nicht in die Bevölkerung einwirken. Vor allem in Usbekistan mit knapp 30 Millionen Menschen hat die jüngere Generation keine Zukunftschance.

Der Autor

MARCUS BENSMANN lebt und arbeitet als Korrespondent der taz in Zentralasien.

Doch noch gibt es ein Ventil. Anders als in Nordafrika können die Millionen Gastarbeiter aus Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan auf Baustellen in Russland und Kasachstan arbeiten und mit Geldüberweisungen ihre Familien ernähren. Viele junge Akademiker wandern zudem nach Russland aus. Die bestehende russische Visumsfreiheit schützt die Regime Zentralasiens noch vor arabischen Erschütterungen.

Allein Kirgistan bildet eine Ausnahme. Am siebten April 2010 verjagte zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren eine Revolte den Präsidenten. Die kirgisische Zivilgesellschaft erwies sich aber als zu schwach, nach dem Umsturz ein demokratisches Gemeinwesen zu etablieren. Der Staat wurde von Banditen und Klanführern gekapert und versinkt in Anarchie, die sich schon in Pogromen gegen die usbekische Minderheit entlud.

Das kirgisische Chaos nach dem Machtumsturz nutzen die Mächtigen in Zentralasien als abschreckendes Beispiel. Als in Usbekistan 2005 die Bevölkerung im Provinzstädtchen Andischan sich gegen die Willkürherrschaft wehrte, ertränkte der usbekische Präsident Islam Karimow den Aufstand in Blut.

Derweil begeht der Westen in Zentralasien nordafrikanische Fehler. Die EU, Deutschland und die USA umgarnen die dortigen Despoten. Es gibt Öl und Gas. Und durch Zentralasien führt die Nordversorgungroute für den Afghanistankrieg. In Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan nutzt die Nato Luftwaffenstützpunkte. Die Bundeswehr operiert von dem Stützpunkt im usbekischen Termes.

Der von der EU beschworene "Menschenrechtsdialog" mit den zentralasiatischen Regimen ist ein Täuschungsmanöver, um die realpolitische Ernte aus der Kooperation mit den Seidenstraßendespoten einzuholen. Eine kurzfristige Rechnung. Wie in Nordafrika sind die Despoten Zentralasiens nicht Bollwerk gegen Chaos und Anarchie, sondern deren Steigbügelhalter.

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Marcus Bensmann
Auslandskorrespondent Zentralasien
„Das liegt doch irgendwo in Russland“ oder „Samarkand?  Seidenstrasse?“ sind zwei häufige Antworten, wenn ich in Deutschland von meiner Arbeit in Zentralasien erzähle. Die Region zwischen dem Kaspischen Meer und chinesischer Grenze tut sich auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit schwer, einen Platz in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit zu erobern.Mich aber faszinieren Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan seit vielen Jahren, obwohl in den Redaktionen das ungeschriebene Gesetz gilt,dass Veröffentlichungschancen sinken, je mehr Stans in einem Satz vorkommen. Ich berichte aus dem Hinterland des Natokrieges in Afghanistan über Aufstände, Revolutionen,Wasserkriege und wie deutsche Politiker mit dem usbekischen DespotenIslam Karimow kungeln, um sich die Bundeswehrbasis in dessen düsteren Reich an der afghanischen Grenze zu sichern.Ich nehme die Ereignisse selbst in Augenschein und berichte in Zentralasien oft als einer der ersten, manchmal sogar als einziger, vom Ort des Geschehens. Sei es bei den zwei Machtumstürzen (2005 und 2010), und dem ethnischen Konflikt in Kirgistan (2010), dem Massaker in der usbekischen Provinzstadt Andischan (2005), den Ölarbeiterstreiks in der westkasachischen Steppenstadt Schanaozen und dessen blutigem Ende (2011), und den Gefechten in der tadschikischen Pamirprovinz Badachschan (2012). Ich, Jahrgang 1969, arbeite seit 1994 aus Zentralasien für Schweizer und deutsche Medien. Seit 2006 bin ich zudem dort als taz-Korrespondent tätig. Ich halte Vorträge zu Zentralasien und beteilige mich an Podiumsdiskussionen. Deutschland:+491795057442 Kirgistan:+996777565575
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9 Kommentare

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  • J
    Jürgen

    Auf die Füße gestellt oder ...

    ... seit wann haben Despoten einen Hang zu Anarchie und Chaos oder gar dort ihre Wiege? Marcus Bensmann beschreibt das Gegenteil in seiner Phänomenologie. Auf welchem Balkon mit Blick aufs Meer stand er? Er beschreibt Diktatur mit faschistischer Tendenz und Ordnung vom Recht des Stärkeren und Fieseren. Das hat weder mit Anarchie, noch mit Chaos etwas gemein. Diktaturen sind gekennzeichnet von klarer Ordnung und Herrschaft, Despoten hassen das Durcheinander und die Herrschaftslosigkeit, ihrer selbst willen und zum Leid, zur Unterdrückung bis zum Tode Anderer. Auch kann das Gegenteil nicht Ursache des Gegenteils sein, ziemlich antidialektisch das Ganze. Also wenn schon, dann EU-Steigbügelhalter von Despoten.

    @Merkwürdig: recht hast du!

  • A
    Almaz

    Kirgistan Teil ist leider sehr zynisch beschrieben worden. Die kirgisische Zivilgeselschaft ist wahrscheinlich eher zu jung, als zu schwach, wenn es die historische Umstände des Landes in Ansicht genommen werden. Und hier wäre es vielleicht viel richtiger und korrekter ein Vergleich mit anderen Ländern in der Region zu machen. Indem Fall könnte man schon viel schönere deutsche Wörter verwenden. Den Satz über Banditen und Anarchie in Kirgisien kann ich leider gar nicht kommentieren, dazu finde keine gute Worte.

     

    Wenn ein Land sich auf dem Wege der Demokratie macht, versingt das in Anarchie oder Evolution? Oder gibt es Wege ohne Turbulenzen ein Land mit seinem Feudalismus/Kommunismus Geschichte zum demokratischem Gemeinwesen zu führen? Muss man solchen Anstreben im Westen unterstützen oder "als abschreckendes Beispiel" nützen lassen? Was ist besser - wohlwollendes Optimismus oder kaltblutiges Zynismus? Halbvolles oder halbleeres Glas? Ich glaube das ertse. Wie meinen Sie Herr Bensmann?

  • M
    Merkwürdig

    Dass ein Taz-Leser (btw. Danke Robert!) erst erklären muss, was Anarchie bedeutet, wirft kein gutes Licht auf die Taz. Nix habt ihr euch bei der Überschrift gedacht - und das ist nicht gut so!

  • O
    ohneWölfeHeulen

    warum diese überschrift? bei welchen zielgruppen wollt ihr euch beliebt machen? ach, hätt ich doch nur nerven wie @robert ...

  • O
    ohneWölfeHeulen

    warum diese überschrift? bei welchen zielgruppen wollt ihr euch beliebt machen? ach, hätt ich doch nur nerven wie @robert ...

  • L
    LinksIstWasAnderes

    wenn die taz die zustände in zentralasien für anarchie hält, steht es schlecht um sie.

  • C
    Conrado

    Nachdem ich selbst mehr als 20 Jahre mit Zentralasien zu tun habe, muss ich leider sagen, dass die Lage ganz genau so ist, wie sie Herr Bensmann beschreibt. Jedes einzelne Wort passt. Was faellt einem dazu noch ein?

  • R
    Robert

    Anarchie ist kein Schreckensszenario.

     

    Der im Artikel gezogene Vergleich zur Anarchie hinkt.

     

    Anarchie beschreibt die Abwesenheit von Herrschaft und steht für das Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Der Begriff findet in der sozialpolitischen Philosophie Verwendung und bezeichnet eine soziale Ordnung mit bestimmten Merkmalen.

    Welche genau, dass kann Mensch in zahlreichen Nachschlagewerken und im Internet nachlesen.

     

    Ein Begriff der die Situation umschreibt auf die im Artikel angespielt wird, ist Anomie.

    Anomie definiert die Abwesenheit oder schwache Ausprägung sozialer Normen, Regeln und Ordnung.

  • A
    Anarchist

    Der Autor sollte sich mal informieren was "Anarchie" ist! Progrome, Chaos und Unterdrückung nämlich nicht.

    Herrschaftsfrei und Selbstbestimmt, das heisst es.

    Was sie hier betreiben ist stumpfestes "Neusprech".

    //Anarchist