Kommentar Wahl in Iran: Schach in Teheran
Der Iran ist ein Land der verzwickten Frontlinien. Deshalb gehen Prognosen, die vom westlich-binären Denken geprägt sind, so oft fehl.
W estliche Prognosen über die Entwicklung der Islamischen Republik haben sich oft als falsch erwiesen. Und zwar so oft, dass iranische Spötter daraus eine Gesetzmäßigkeit ableiten: „Nur eines weiß man sicher: Was ihr vorhersagt, wird garantiert nicht eintreffen.“
Gerade erleidet erneut eine populäre These Schiffbruch: Die Behauptung, mehr Geschäfte des Westens mit Iran würden zu mehr Bürgerfreiheit führen. Vulgo: Handel schafft Wandel.
Anlässlich der Parlamentswahl am Freitag ein rascher Blick auf die Lage. Die Zahl von Hinrichtungen auf Rekordhöhe (obwohl es gegen das Ausmaß der Exekutionen Widerspruch in der Gesellschaft gibt, sogar im Justizapparat). Die Pressefreiheit: aus Sicht von „Reporter ohne Grenzen“ kaum besser als unter dem legendären Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad; zahlreiche Journalisten sind in Haft. Dichter fliehen aus dem Land, um harschen Strafen zu entgehen. Und Schweigen liegt über dem Namen Mir Hossein Musawi, Präsidentschafts-Kandidat der Grünen Bewegung von 2009: Sein Hausarrest, illegal auch nach iranischem Recht, rundete sich gerade auf fünf Jahre.
Dollarzeichen in den Augen
Eine Petitesse, am Rande: Iranerinnen durften in diesen Tagen bei einem internationalen Beach-Volleyball-Turnier erneut nicht auf die Tribüne, trotz anderweitiger Zusicherung im Vorfeld.
Der Zwischenruf, für eine Bilanz sei es zu früh, die Handel-Wandel-These sei langfristig gemeint, ist berechtigt. Nur: Die Unbekümmertheit all derer, die nun mit Euro- und Dollar-Zeichen in den Augen nach Teheran eilen, ist vielsagend.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich begrüße das Ende der Eiszeit, und ich habe die Dämonisierung Irans nie geteilt. Gerade deshalb fällt mir die Heuchelei auf. Es waren politische Motive, weshalb der Iran stets heftiger verurteilt wurde als andere Länder, in denen Menschenrechte gleichfalls chronisch verletzt werden. Seit das westliche Ziel regime change vom Tisch ist, sind auch dessen Verkleidungen entfallen – die Human-Rights-Sparte wird nicht mehr gebraucht.
Selbst bei mittelfristiger Betrachtung: Was haben westliche Unternehmensstrategien und Marktanteile überhaupt mit Bürgerrechten zu tun? Alle Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien haben dort keine einzige Frau hinters Lenkrad gebracht. Wird jetzt bei Investitionen im Iran über die Legalisierung der verfolgten unabhängigen Gewerkschaften verhandelt? Nicht dass man’s hörte. Den Arbeiterrechten geht es eher wie den nackten Statuen in Rom: verhüllt aus Gier.
Manche argumentieren, die Iraner erhielten nun Zugang zu Produkten, die zur westlichen Freiheit gehörten. Das verrät eine flagrante Unkenntnis, wie modern der Iran ist. iPhone, Vernetzung, alles schon da. Internationale Kreditkarten: gewiss, das wird den Reichen das Reisen erleichtern und Amazon erfreuen. Die Masse der Iraner, oft verschuldet, wird sich weiter mit der einheimischen Bankkarte begnügen; übrigens ist der bargeldlose Verkehr dort fortgeschrittener als bei uns.
Mit der Handel-Wandel-These verwandt ist eine andere populäre Annahme: Im Iran gehe es nun um den Kampf von ökonomischer Liberalisierung (gut, fortschrittlich, Hoffnung der Jugend) gegen politische Repression (böse, reaktionär, Ideologie alter Mullahs). Doch die iranische Wirklichkeit ist komplexer.
Der internationale Vertrag über den Rückbau des iranischen Nuklearprogramms ist von der extremen Rechten der Islamischen Republik nur zähneknirschend – wenn überhaupt – akzeptiert worden. Dieses Lager, zu dem Geistliche ebenso wie Militärs gehören, ist zwar im iranischen Meinungsspektrum minoritär, verfügt aber in den Strukturen des Systems über genug Einfluss, um dem ganzen Land die turbulente Atmosphäre eines Machtkampfs aufzuzwingen.
Wandel schafft Händel, könnte man also sagen, klänge das nicht zu salopp. Denn tatsächlich spielt sich gegenwärtig ein umfassender Kampf um politische Macht und um ökonomische Pfründen ab, der keineswegs nur von den genannten Hardlinern ausgeht. 40 Prozent der iranischen Wirtschaft gehören zu einem militärisch-religiösen Komplex, in dessen Innerem viele von Sanktionen und Schwarzmarkt profitiert haben. Zu ihnen zählen Teile der Nordteheraner Neureichen-Schickeria, die bei uns als reformfreundlich gilt, weil die Frauen sich die Lippen aufspritzen lassen.
Verzwickte Frontlinien
Der Iran ist ein Land der verzwickten Frontlinien; deshalb gehen Prognosen, die vom westlich-binären Denken geprägt sind, so oft fehl. Der gegenwärtige Machtkampf sei wie „dreidimensionales Schach“, meint der US-Forscher Matthew Trevithick, nachdem er selbst in den Strudel der Ereignisse gerissen wurde. Als Sprachstudent in Teheran verhaftet, im Evin-Gefängnis zu absurden Vorwürfen verhört, kam er kürzlich beim bilateralen Gefangenenaustausch frei. „Der Iran ist eine Nation, die im Krieg liegt mit sich selbst“, sagte er.
Das prägt auch die Wahlen zu Parlament und Expertenversammlung – aber nicht nur in negativem Sinne: Nie zuvor bewarben sich so viele Bürger um eine Kandidatur; bei den Frauen waren es dreimal mehr als 2012. Die demokratischen Elemente im Hybridsystem der Islamischen Republik scheinen in den Augen vieler Iraner wichtiger zu werden. Dass gegenwärtig nur 3 Prozent der Abgeordneten weiblich sind, spiegelt die Verhältnisse verzerrt: In Gesellschaft, Arbeitswelt, Medien, ja sogar im Sport sind Frauen viel präsenter. Und darauf ist der Staat in einer Zeit verschärfter Konkurrenz mit Saudi-Arabien sogar stolz.
Dennoch wurde keine einzige Frau als qualifiziert genug erachtet, um für jenes Gremium zu kandidieren, das den nächsten Revolutionsführer bestimmt, nämlich die Expertenversammlung. So groß ist die Angst, der Dachstuhl der Republik könne unter dem Gewicht eines weiblichen Fußes erzittern. Die große Zahl versierter Theologinnen, die es heute gibt, zeigt zugleich, wie wenig der Iran von 2016 jenem von 1979 ähnelt.
Und genau deshalb wird der Kampf im und um den Iran noch lange andauern.
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