Kommentar Vorratsdaten-Urteil: Guter Tag für Bürgerrechte
Das Vorratsdaten-Urteil hat Licht und Schatten: gut, dass Geheimdienste keinen Zugriff auf die Vorratsdaten erhalten. Doch das Urteil könnte Basis für eine umstrittene Kriminalpolitik werden.
D ies ist ein typisches Karlsruher Urteil. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Aber das Gericht sagte lediglich: So nicht! Das heißt, mit einigen Korrekturen kann der Bundestag die Vorratsdatenspeicherung in leicht veränderter Form bald wiedereinführen.
Der Gesetzgeber kennt nun jedenfalls die Karlsruher Vorgaben und könnte damit dem Widerstand den Wind aus den Segeln nehmen. Gut möglich, dass Karlsruhe mit seinem Urteil die Voraussetzungen für eine hoch umstrittene Kriminalpolitik geschaffen hat. Auch sonst hat das Urteil Licht und Schatten. Gut ist, dass Geheimdienste in der Regel keinen Zugriff auf die Vorratsdaten erhalten sollen, denn hier wäre der Einschüchterungseffekt am größten. Positiv ist auch, dass Kontaktaufnahmen zu Aids- und Drogenberatungsstellen nicht an Sicherheitsbehörden gemeldet werden dürfen: Dass soll vermeiden, hier Hemmschwellen zu schaffen. Schwach ist hingegen, dass die Zuordnung von IP-Adressen zu realen Personen bei jeder noch so geringen Straftat möglich ist - und dies sogar ohne Richtervorbehalt. Hier wird die Freiheit des Internets, die ja wesentlich auf der Anonymität beruht, zu leichtfertig preisgegeben.
Jetzt schaut alles auf die Berliner Koalition. Solange sie über eine Neuregelung berät, gibt es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung. Das kann spannend werden. Die Union wird vermutlich zur Eile drängen und auf drohende Sicherheitslücken verweisen. Dagegen könnte die FDP auf Zeit spielen, weil sie die Speicherung von Bürgerdaten ohne konkreten Verdacht ohnehin ablehnt.
Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.
So ist es einen Versuch wert, auf europäischer Ebene gleich auf eine Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung zu drängen. Erst am Wochenende hat die zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding erklärt, dass sie die Vorratsspeicherung "auf den Prüfstand" stellen will. Sechs weitere Staaten haben bislang noch nicht einmal Gesetze geschaffen, um die EU-Vorgabe umzusetzen.
Das Karlsruher Urteil hat jedenfalls wichtige Argumente für diese europäische Debatte geliefert. Es hat klargemacht, dass die vorsorgliche Speicherung gewaltiger Mengen alltäglicher Bürgerdaten nur sehr schwer zu rechtfertigen ist. Hoffentlich wird das Signal in vielen Staaten Europas verstanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann