Kommentar Verhaftung Mladic: Serbiens Mythos ist am Ende
Der serbische Nationalismus hat eine herbe Niederlage erlitten. Will Serbien sich in Europa integrieren, muss es den Opfermythos ablegen.
D ie zwei wichtigsten Kriegsverbrecher des Bosnienkrieges, Radovan Karadzic und Ratko Mladic, werden sich jetzt im Gefängnis wiedertreffen. Damit hat der serbische Nationalismus eine weitere, entscheidende Niederlage erlitten.
Der "Mythos" Mladic, der sich über 15 Jahre seinen Häschern entziehen konnte, existiert nicht mehr. Stattdessen wird in Den Haag ein alter Mann vor Gericht stehen, dessen abstruses Geschichtsverständnis sich darin zeigte, dass er in Srebrenica "Rache an den Türken" nehmen wollte - wegen einer Schlacht, die 600 Jahre zuvor auf dem Amselfeld verloren wurde.
Serbiens Gesellschaft muss diesen Opfermythos abschütteln, will sie sich in Europa integrieren. Genug kritische Geister, die dazu in der Lage sind, gibt es ja in Belgrad und anderswo. Sie brauchen jetzt ernsthafte politische Rückendeckung.
ERICH RATHFELDER ist Korrespondent der taz für das ehemalige Jugoslawien. Er lebt und arbeitet im kroatischen Split.
Für Serbiens Regierung heißt das: Es muss endlich Schluss sein mit der Verfolgung von kritischen Journalisten, mit Drohungen gegenüber Vertretern der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus muss Serbien zur Stabilität auf dem Balkan beitragen, indem es seine Grenzen anerkennt - zu Bosnien und Herzegowina wie zum Kosovo.
Solange Serbiens Präsident Tadic noch von "unserer autonomen Provinz Kosovo" spricht, bleibt er im alten Denken gefangen. Denn Serbiens Kriege auf dem Balkan wurden geführt und verloren, weil sie auf einer falschen und verquasten Interpretation der Geschichte basierten. Das moderne Serbien kann dies nur überwinden, wenn es seine Nachbarn - gleich welcher Religion und Nationalität - als gleichberechtigte Menschen zu akzeptieren lernt.
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