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Kommentar Venezuela und MenschenrechteDesaster für die Menschenrechte

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Venezuela steigt aus dem Interamerikanischen Menschenrechtssystem aus. Für Menschenrechtler vor Ort ist das eine Katastrophe.

N ein, das ist wirklich keine gute Nachricht aus Caracas. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat am Mittwoch ein Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs (CIDH) zum Anlass genommen, den bereits länger angekündigten Ausstieg des Landes aus dem Interamerikanischen Menschenrechtssystem zu verkünden.

Noch ist unklar, wie genau das technisch zu machen ist, vermutlich müsste das Land sich dann auch gleich aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zurückziehen – und die eigene „bolivarische“ Verfassung nicht allzu ernst nehmen, die jedem venezolanischen Staatsbürger das Recht zubilligt, im Falle von Menschenrechtsverletzungen die Hilfe internationaler Justiz in Anspruch zu nehmen.

Venezuelas Regierung hat gute Gründe anzunehmen, mit diesem drastischen Schritt Nachahmer zu finden. Denn beliebt sind Menschenrechtskommission und -gerichtshof bei allen lateinamerikanischen Regierungen nicht. Das liegt allerdings nicht daran, wie Chávez es behauptet, dass das Menschenrechtssystem der Organisation Amerikanischer Staaten von den USA dominiert sei – die im übrigen dessen Rechtssprechung nicht anerkennen –, sondern daran, dass die Richter in aller Regel einen ziemlich guten Job machen.

Bild: taz
BERND PICKERT

ist Redakteur im Auslandsressort der taz und zuständig für die Amerikaberichterstattung.

Gerade diesen Mittwoch etwa entschieden sie zugunsten der indigenen Einwohner von Sarayaku, einem Dorf im ecuadorianischen Urwald, die vom ecuadorianischen Staat Schadenersatz fordern, weil dieser die Erdölförderung in ihrem Gebiet ohne vorherige Abstimmung mit der Gemeinde zugelassen hat. Das reicht zwar weit vor die Verantwortung der aktuellen, sich links gebenden Regierung des Präsidenten Rafael Correa zurück, gefällt dieser aber dennoch nicht, weil sie selbst derzeit Dutzende ähnliche Projekte am Laufen hat.

Auch die Berichte der Kommission zum Thema Meinungsfreiheit stoßen der ecuadorianischen Regierung auf. Und die rechte kolumbianische Regierung hadert immer wieder mit Urteilen des Gerichtshofs, was Massaker von rechten Paramilitärs, Opferentschädigung und Landrückgabe angeht.

Das Gericht als letzte Chance

Es ist die erklärte Aufgabe des Interamerikanischen Menschenrechtssystems, Betroffenen rechtliches Gehör zu verschaffen, wenn die nationale Justiz dazu nicht willens oder in der Lage ist. Für MenschenrechtsverteidigerInnen ist der Gerichtshof oftmals die letzte Chance, recht zu bekommen – sehr zum Unwillen der jeweiligen Regierungen, egal, ob sie nun rechts oder links sind.

Bislang haben sie sich immerhin an die aus der OAS-Mitgliedschaft resultierende Verpflichtung gehalten, die Urteile des CIDH zu respektieren und umzusetzen: Chávez’ Ankündigung dürfte diese Gewissheit nachhaltig beschädigen.

Schon beim letzten Gipfeltreffen der Organisation Amerikanischer Staaten in Cochabamba wurde deutlich, wie tief die Krise der OAS inzwischen ist. Die verschiedenen Ankündigungen – zumeist von Venezuela oder den mit Chávez befreundeten Regierungen – man solle die OAS auflösen und stattdessen „etwas Eigenes“ ohne die USA und Kanada schaffen, sind alarmierend: Nicht, weil die OAS an sich in den letzten Jahren eine irgendwie schlagkräftige Organisation gewesen wäre. Aber ohne OAS kein Interamerikanisches Menschenrechtssystem.

Die Beteuerungen, man werde etwas Neues aufbauen, um den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten, kann man getrost als Propaganda abtun: Menschenrechtsanwälte können ein Lied davon singen, wie sich die Regierungen solch einen Menschenrechtsschutz in der Praxis vorstellen.

Zugegeben: Auch der CIDH hat Schwächen, vor allem jene, dass er überhaupt nicht in der Lage ist, allen Fällen nachzugehen, bei denen Betroffene um Hilfe ersuchen. Damit allerdings wissen die organisierten MenschenrechtsverteidigerInnen in den meisten Ländern längst umzugehen: Sie wählen genau aus, welche Fälle sie zum CIDH tragen und welche Wirkung auf die nationale Rechtsprechung sie damit auslösen können.

Wenn diese letzte und – das gilt zumindest für einige Länder – auch einzige funktionierende Rechtsinstanz wegfällt, ist das für Menschenrechtsorganisationen ein Desaster. Kein Wunder, dass nahezu alle Organisationen schon die seit Monaten laufende Debatte über den Austritt Venezuelas heftig kritisieren.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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9 Kommentare

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  • HL
    Henning Lilge

    Sehr geehrte Redaktion,

     

    weniger Propaganda, mehr Information tut Not - besonders bei der TAZ. Wo ist der Interamerikanische Gerichtshof, wenn es um Verstösse in den USA geht. Irgend etwas Nenneswertes zu berichten? Ich bin gespannt auf die Recherche von Herrn Pickert. Entschädigung für Bombenleger - warum? Hier bedarf es mehr Genauigkeit. Ansonsten könnten ja demnächst ETA und RAF Mitglieder nach ähnlichen Prinzipien mit 15 000 Euro entschädigt werden - vom Europäischen Gerichtshof. Angemessen oder absurd? Was ist der Unterschied? Ich bin auf eine konsistente Antwort gespannt.

     

    Mit freundlichen Grüssen

    Henning Lilge

  • V
    valeria

    Die Kommentare in den Zeitungen Lateinamerikas berichtet immer ueber die Problem der 11 Millionen Roma in Nationen der "demokratischen" EU. In Lateinamerika ist man der Meinung dass Deutschland die groesste Schuld hat an den Problemen in de ehemaligen Staaten Yugoslawiens.

  • T
    Tincho

    Solange Ihr an den USA als Garant der Wahrung der Menschenrechte festhaltet, werdet Ihr weiterhin nicht begreifen, was sich in der Welt notwendig- und glücklicherweise abspielt.

    1945 und Marshallplan liegen weit zurück: Deutsche aufwachen!!!

  • T
    Thomas

    Zumindestens ist Chavez ehrlich: Menschenrechte interessieren ihn einen feuchten Dreck. Dass er seinen Ausstieg aus dem Menschenrechtssystem mit Dominanz durch die USA garniert hat rein innenpolitische Gründe: mit dem Verweis auf den Satan USA kann er sich der Zustimmung seiner Fans sicher sein; Kritiker können auf die Art und Weise leicht zu US-Agenten gebrandmarkt werden. Die gleichen Mechanismen waren aus dem verblichenen Ostblock bekannt, in die gleiche Kerbe haut auch heute sein Bruder im geiste Putin

  • J
    Jemand

    Na, jetzt zeigt er endlich sein wahres Gesicht!

  • P
    peterchen

    Pickert hätte je wenigstens kurz referieren können, was denn der Anlass für diesen Austrittswunsch ist: da hat der CIDH einen verurteilten Terroristen, der aus dem Freigang nach Miami geflohen war, 15.000 Euro Entschädigung zugesprochen. Ohne dass der nationale Rechtweg ausgeschöpft war, wie eigentlich vorgeschrieben. Überlasteter CIDH oder doch politisches Instrument Washingtons?

    Aber gut, wir kennen die taz als anti-Chavistisch, da wundert diese Art Kommentare eigentlich nicht.

  • E
    EuroTanic

    Diese globalen Menschrechts"vereine" und seine Gesetze sind nichts wert. Die UNO und der "Friedensnobelpreisträger" Obama haben zig Kriege initiiert und Millionen von Zivilisten ermordet. Wer von Frieden spricht aber ständig unschuldige Menschen ermordet hat nicht das Recht andere Länder und deren Politik niederzuschreiben.

  • P
    pascot

    "Das liegt allerdings nicht daran, wie Chávez es behauptet, dass das Menschenrechtssystem der Organisation Amerikanischer Staaten von den USA dominiert sei –"

     

    sehr geehrter herr pickert...

    spätestens nach diesem/ihren statement,habe ich mir den rest ihres "figthing for freedom" artikels gespart...

     

    wenn sie die taz auf springerniveau runterziehen wollen...

    bewerben sie sich bei der bild,der welt,dem spiegel,dem stern,dem focus...etc.

    dort werden linientreue realitätsverleugnende atlantikbrückenfreunde wie sie gesucht.

  • DZ
    Delegado Zero

    Was ist daran falsch aus dem Interamerikanischen Menschenunrechtssystem auszutreten? Gerade weil es um Menschenrechte geht ist dieser Schritt vorbildlich. Genosse Chavez handelt im Sinne seiner Bevölkerung. Wer hat denn immer dieses Gericht angerufen? Irgendwelche Sozialismusfeinde!