piwik no script img

Kommentar Umbruch in SpanienOhne Podemos geht nichts

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Die spanischen Wählerinnen bestrafen die Austeritätspolitik von Sozialisten und Konservativen. Die beiden Parteien sind längst nicht am Tiefpunkt angelangt.

Ungläubige Blicke: Anhänger der „Ciudadanos“ in Madrid. Bild: reuters

U nd wieder beginnt alles mit Gemeinderatswahlen. 1931 dankte nach einem kommunalen Urnengang König Alfonso XIII. ab, Spanien wurde zur Republik. 2011 gingen die Empörten auf die Straße und veränderten die politische Kultur tiefgreifend. Am Sonntag änderte jetzt das, was vor vier Jahren begann, Spaniens politische Landschaft endgültig.

Die flächendeckend mit absoluter Mehrheit regierende Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy verliert alle wichtigen Gemeinden und die wichtigsten Regionalregierungen im Lande. Die Bürgerlisten, die von der neuen Anti-Austeritätspartei Podemos ins Leben gerufen wurden, werden künftig das Bürgermeisteramt in Barcelona, Madrid und mindestens fünf weiteren Großstädten besetzen. Auf regionaler Ebene geht nichts ohne Podemos.

Podemos-Sprecher beschwören mit Blick auf die Parlamentswahlen im Herbst den „Wandel“, der im vollen Gange sei. Noch liegt ein langer Weg vor der Formation des jungen Politikprofessors Iglesias. Doch wenn die Partei die entscheidende Rolle zu nutzen weiß, könnte sie im Herbst weitere Wähler anziehen und gewinnen.

Die beiden großen Parteien sind längst nicht am Tiefpunkt angelangt. Ministerpräsident Rajoy steht seit Sonntag mit beiden Beinen auf der Straße. Und der Führer der Sozialisten Pedro Sánchez ist bei weitem nicht so bekannt wie Pablo Iglesias.

Anders als in den Regionen, Städten und Gemeinden waren die Sozialisten nicht bis zu 20 Jahren in der Opposition. Sie regierten Spanien bis vor vier Jahren. Bei Parlamentswahlen wird die katastrophale Sparpolitik eine Rolle spielen, und die begann unter den Sozialisten. Sie kürzten Sozialleistungen, Beamtengehälter und gaben den Schuldenzahlung Vorrang vor Sozialausgaben. In nur einer Legislation vergessen das die Wähler nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Schau mal hier, da tut sich etwas: https://www.facebook.com/groups/PODEMOSDEUTSCHLAND2.0/

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Manfred Wolter:

      Ich schaue gerne ... doch geht das Ganze auch ohne Facebook? Aus verständlichen Gründen tummele ich mich dort nicht mehr.

  • 6G
    628 (Profil gelöscht)

    Man statuiert an Griechenland einfach ein Exempel, und dann ist Podemos ganz schnell Geschichte...

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @628 (Profil gelöscht):

      Ach, Cassandra!!!

       

      Wer links ist in Herz und Hirn, erfreut sich des Augenblicks. Im gesicherten Wissen, dass nichts unendlich ist. Noch nicht einmal die Verfallzeiten von Frau Merkel (eine CDU ohne sie wird rasch zurecht gestutzt werden) und der SPD.

       

      Podemos!

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Ich habe den ganzen Abend einen spanischen Podcast zur Wahl gehört: carnecruda.es

        Für mich stellt sich nach sehr viel Beschäftigung mit dem Aufbruch in Spanien die Frage: Wie starten wir die Bewegung, die hier bei uns, im Herzen des europäischen Neoliberalismus, eben diesen überwindet und Soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu den Grundlagen der Politik macht?

        Podemos?

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @VK:

          Auch ich stelle mir diese Fragen, ohne schon Antworten darauf gefunden zu haben.

           

          Ich sehe einen riesigen Unterschied zwischen Spanien und Deutschland: die Arbeitslosigkeit unter spanischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist viel höher als bei uns. Dies hat zur Folge, dass junge Spanier (vermutlich) Podemos wählen, junge Deutsche sind hingegen mainstreammäßig auf Karriere, Konsum und Bausparverträge fixiert. Von dieser Generation erwarte ich in hiesigen Landen erst einmal gar nichts.

           

          Heute habe ich mit einer Freundin über dieses Thema lange debattiert. Sie meinte, "wir Alten" hätten doch lange genug gekämpft, um jetzt abzutreten und das Feld "den Jungen" überlassen zu dürfen. Ich habe ihr auf´s Heftigste widersprochen, wohl auch, weil ich nicht zu den Satten im Lande gehöre.

           

          Wenn die Jungen zu bequem sind, müssen halt "die Alten" Motor von spürbaren Veränderungen werden. Ich werde bald 63, habe etliche Gebrauchsspuren, bin aber trotz allem (wieder) kämpferisch.

           

          Podemos - ich bin dabei!

          • @76530 (Profil gelöscht):

            ...als es in Spanien dank Immobilienblase noch rund lief, hat sich doch dort niemand für politische Themen interessiert, das ganze Land war ebenfalls auf Hypotheken und Konsum fixiert.

            Dann gibt es noch folgendes zu bedenken: Podemos forderte zur Zeit seiner Gründung folgende Dinge:

             

            -Referendum über die Staatsform (Republik oder Monarchie)

            -Verstaatlichung von Schlüsselsektoren

            -Verbot, bei Gewinn Mitarbeiter zu entlassen

            - Keinen Cent mehr an Subventionen für religiöse Privatschulen

            - Staatsschulden nicht mehr bedienen

             

            Von ALLEN (!!!) dieser Forderungen ist Podemos abgerückt, im Bestreben, möglichst "mittig" zu wirken. Ich habe seit ich mich für Politik interessiere noch nie eine Partei gesehen, die in so kurzer Zeit so viele Prinzipien wegwirft. Die Romantisierung von Podemos kann ich nicht nachvollziehen.

            • 7G
              76530 (Profil gelöscht)
              @Florian Meyer:

              Optimismus gedeiht häufig auf dem Boden mangelnder Informationen.

               

              Sollte auch ich im vorliegenden Fall diesem Lapsus erlegen sein, werde ich es irgendwann sicherlich bemerken.

               

              Bis dahin gilt das Geschriebene. Wobei für mich Romantisierung ohnehin nichts Schlimmes ist. Schließlich muss man leben und überleben. Und dazu brauchen wir Menschen häufig Krücken.

               

              Wolfgang Leiberg

              (Sozialromantiker)

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Hervorragend, Wolfgang, wir sollten uns zusammentun, wir alle. bernd.lind@gmx.net