piwik no script img

Kommentar Ukraine900.000 Menschen pro Jahr

Kommentar von Barbara Oertel

Schwerste Menschenrechtsverletzungen auf Polizeirevieren und in Haftanstalten sind in der Ukraine Alltag. Über diese Menschen spricht kaum jemand.

K eine Frage: Der brutale Umgang mit der inhaftierten früheren ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko ist zu verurteilen. Doch es geht bei Weitem nicht nur um die Causa Timoschenko oder den zweiten prominenten politischen Gefangenen Juri Lutzenko. Der ehemalige Innenminister leidet an einer schweren Lebererkrankung und dürfte das Gefängnis nicht überleben.

Beide Fälle verweisen auf den Umstand, dass schwerste Menschenrechtsverletzungen auf Polizeirevieren und in Haftanstalten in der Ukraine Alltag sind. Laut Angaben eines Menschenrechtszentrums in Charkow sind allein im vergangenen Jahr rund 900.000 Gefangene Opfer von Folter geworden. Dabei zählen Schläge noch zu den harmlosen Varianten. Über diese Menschen spricht kaum jemand. Demgegenüber sorgt das Schicksal Timoschenkos, die seit einigen Tagen im Hungerstreik ist, für umso erregtere Debatten.

Ein wahrscheinliches Entgegenkommen Kiews in Sachen einer medizinischen Behandlung Timoschenkos sowie das Engagement der deutschen Bundesregierung sind nicht nur der Tatsache geschuldet, dass die 51-Jährige eine der bekanntesten PolitikerInnen in der Ukraine ist. In sechs Wochen beginnt die Fußball-EM, und da möchte sich die Ukraine als einer der beiden Austragungsorte als offenes, gastfreundliches Land präsentieren. Halbtot geschlagene Häftlinge sind diesem Image nicht zuträglich.

Doch all das wird denjenigen nichts nützen, die in der Haft tagtäglich einer menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt sind. Hier sind die EU über ihr Instrument der östlichen Partnerschaft sowie der Europarat aufgefordert, auf grundsätzliche Reformen des ukrainischen Rechtssystems hinzuwirken. Doch mit dem Abpfiff des Finales dürfte auch dieses Thema wieder von der Agenda verschwinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • A
    Arne

    Ob die Haftbedingungen für Frau Timoschenko, die sich sogar von einem ausländischen Arzt der Charité untersuchen lassen darf, wirklich so schrecklich sind, kann ich ebensowenig beurteilen wie die Zustände in ukrainischen Gefägnissen.

    Deshalb aber unreflektiert in das Horn von CDUCSU-Reaktionären zu stoßen, die fordern, eine Fußball-EM zu boykottieren, ist auch fragwürdig. Denn dann hätte man auch das Gastgeberland der Fußball-WM 2006 ebenso boykottieren müssen. Die eigentlich regierungsabhängige Anti-Folter-Stelle hat noch im März d.J. einen Bericht vorgelegt, dass in kaum einem deutschen Gefängnis die Mindestgröße einer Zelle eingehalten wird. In vielen Zellen fehlen angeblich die einfachsten Einrichtungsgegenstände wie ein Stuhl oder ein Tisch. Vom Maßregelvollzug, der besonders unter den Kürzungen leidet, ganz zu schweigen.

    Und wer von den Zuständen im europäischen, auch bundesdeutschen, Abschiebegewahrsam liest, weiß, dass sich EU und die BRD erst an ihre eigene Nase packen müssten, bevor sie die Ukraine kritisieren wegen dem Umgang mit einer millionenschweren Kriminellen, die ausreichend Verbindungen haben dürfte.

  • DM
    Dr. med. Moshe Weintraub

    "Halbtot geschlagene Häftlinge sind diesem Image nicht zuträglich."

     

    Da muss ich mir Heinrich Himmler's Rede an der Universitaet Charkow am March 24 1943 in seiner 'Ehrlichkeit' erwaehnen; die Haeftlinge damals wurden nicht 1/2-tot geschlagen, sondern 2x 1/2 tot = 1/1 tot !

     

     

    Madame Barbara Oertel hat sich nicht Mathematik studiert! Dieser Artikel ist ein typischer Quatsch aus der TAZ Abt. fuer Volksaufklaerung & Propaganda !

    Die Ukraine hat (2011) ca 43,3 Mio Einwohner. 900,000/43,3 Mio heisst: 2% der Bevoelkerung werden pro Jahr gefoltert!

    Das ist barer Unsinn; diese sog. "Menschenrechtszentrums in Charkow" ist weder der NGO Amn. Int. bekannt. Sogar die US Gruppe Human Rights Watch, welche in der Vergangenheit oft vom US State Department manipuliert wurde, haben zum Thema Ukraine keine klare Haltung; insbesondere, als heute klar ist, wer die 'Orange Revo' wirklich finanziert hat.

     

    Vertreter des ICRC in Geneva, welche vor Ort Gefangene (in aller Welt) besuchen, bestaetigen, was akzeptiert ist: dass Gefangene misshandelt werden, dass aber der Zustand der Gefaengnisse und der Justiz "leider dem kaukasischen Durchschnitt entspricht".

    Das heisst natuerlich: es gibt in der Ukraine und noch in viel schwerem Ausmass gerade in Central Asia Republiken schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen, gemessen an ein einem Schweizer/BRD Standart.

     

    Uebrigens, die von den Freedom Alliances in den USA und deren "Menschenrechtsaktivisten" so geliebte Madame Timo ist eine korrupte Oligarchin, deren Haar sogar gefaerbt ist: von einer kleine Absolventin der Dnipropetrovk Uni (1984), dann Economics in 1999, gruendete die Dame 1991 mit Ihrem damligen Gemahl die Ukranian Petrol Corporation, spaetr wurde sie Gen. Dir. der Ukraine United Energy Systems, die Gas aus Russland einkaufte, ohne je Steuern zu bezahlen.

    Kurz, ca 1998 war sie die REICHSTE Oligarchin der Ukraine; in 2005 auf der FORBES Liste der 100 einflussreichsten und maechtigsten Frauen der Welt....

    Ihre Schamlosigkeit und Gier ist legendaer, und sie hat ganz nach Lenin's Konzept der nuetzlichen Idioten die Demokraten und die Demokratiebewegung im eigenen Land fuer ihre eigenen Ziele missbraucht.

    Wer immer noch an den Leuchtturm Julia Timoshenko glaubt (FOX'News, Wallstreet Journal, und ihre Nachbeter in der BRD und den Gruenen etc), kann sich mal die Artikel der ehem. Station CIA Chief's anschauen: in einem Cable an Condi (Sec. of State Condoleezza Rice) im 16 Juni 2005 nennt die CIA Chefin Julia Timo "a dangereous, corrupt bitch, which will be difficult to control" (Uebersetzung aus Anstandgruenden nicht moeglich).

     

    Kurz: auch ein Krimineller resp. ein Angeschuldigter hat (weltweit) Anrecht auf 'faire Verfahren', aber jeder Leser ausser der Madame Oertel weiss, dass es ausserhalb von ein paar Laendern Westeuropas keine akzeptable Menschen & Tierrecht-situation gibt.

     

    Wie waere es mal mit einem Artikel zu Menschenrechten in Tunesia, Lybia, neu mit Sharia, (nach der sog. Revolution (!)) oder sogar Bosnia (dazu kann man HRW kontaktieren) ??

     

    Ein persoenlicher Typ von mir:

    Erziehung zu Friedensarbeit, ob in Israel/Palaestina oder in East Europe oder sonstwo ist sehr, sehr langwierig.

    Wie billig es fuer jedermann/frau ist, ohne Folgen fuer sich - schnell irgend einen Artikel zu schreiben !

     

     

     

    Prof. Dr. med. Moshe Weintraub, Zurich und Los Angeles, kein TAZ Leser