Kommentar Ukraine: Gutes kann so billig sein

Auch wenn es nur symbolisches Handeln ist: Die Sportfunktionäre von UEFA und DFB könnten aus einer kleinen Geste ziemlich viel Kapital schlagen.

Draußen vor dem Supermarkt sitzt dieser Bettler. Es ist immer derselbe. Mittlerweile kennt man sich. Das heißt, eigentlich weiß man nicht wirklich etwas voneinander. Außer dass jeder seine Rolle hat. Hier der Passant. Da der Bettler. Man gibt ihm gern ein paar Münzen. Oder ein paar Lebensmittel. Denn er hat einen harten Job. Er verkauft dem Passanten das wunderbare Gefühl, Gutes tun zu können. Und das schon für einen Euro.

Ganz da hinten, am anderen Ende Europas, sitzt Julia Timoschenko. In Haft. Seit letztem Sommer schon. Mittlerweiler kennt auch der unpolitische Beobachter den Fall. Das heißt, eigentlich weiß man nicht wirklich viel von Julia Timoschenko. Außer dass sie eine führende Rolle bei der orange Revolution im Jahr 2004 hatte. Danach Ministerpräsidentin war. Und dann wieder in der Opposition. Dass sie zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde in einem äußerst fragwürdigen Prozess. Und, klar, dass sie gern eine auffällige Frisur trägt. Diese geflochtenen Zöpfe, um den Kopf gelegt wie ein Ährenkranz.

Schon rein äußerlich eignet sich Timoschenko zur Ikone. Unter den osteuropäischen Oppositionspolitikern ist sie die mit dem höchsten Bekanntheitsgrad. Das macht sie lästig für die Fußballfunktionäre beim DFB und bei der Uefa. Denn sie müssen auf dem Weg zur Fußballeuropameisterschaft Position zu Timoschenko beziehen. Doch Flagge zeigen, das fällt Funktionären abseits des Sportplatzes immer noch schwer.

Dabei bekämen sie dafür billig das Gefühl, Gutes getan zu haben. Schon weil die ukrainische Regierung Timoschenko irgendwann einfach freilassen muss, zumindest wenn sie einen halbwegs vernünftigen PR-Berater hat. Doch Uefa und DFB halten sich weiter raus. Sie beharren auf der Position, dass sie für Politik nicht zuständig seien. Und übersehen dabei, dass schon das Zustandekommen eines internationalen Sportfestes wie der Fußballeuropameisterschaft an sich ein hochpolitischer Akt ist.

Es gibt eigentlich nur ein Argument, mit dem die Sportfunktionäre ihre Zurückhaltung erklären könnten: Die bloße Freilassung Timoschenkos macht aus der Ukraine noch lange keine Spitzendemokratie. Stimmt! Auch der eine Euro für den Bettler löst bei Weitem nicht alle sozialen Probleme in Deutschland. Aber er mildert eins. In beiden Fällen geht es hier um symbolisches Handeln. Mit kleinen praktischen Folgen.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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