Kommentar US-Raketenabwehr: Beschwörung von Feindbildern

Die Einbeziehung von Tschechien und Polen in den Einflussbereich der USA setzt der russischen Führung zu. Die hat sich mit dem Verlust der Supermachtrolle noch nicht abgefunden.

Es ist ein jahrzehntelanger Traum der Amerikaner, sich durch einen Hightech-Schutzschild unverwundbar zu machen. Der Vertrag zwischen Polen und den USA ist unter Dach und Fach. Er sieht die Stationierung von zehn Abwehrraketen gegen Angriffe aus sogenannten Schurkenstaaten vor. Noch stecken die Raketen im Versuchsstadium, ob sie jemals fliegen werden, steht auch nicht fest. Schon die Projektphase richtete indes in Russland erhebliche Verwüstungen an. Moskau lief vergeblich Sturm gegen die Pläne und instrumentalisierte Washingtons Kaltschnäuzigkeit für das Szenario der Bedrohung von außen, mit dem der Kreml im Innern mobilmacht und die Bevölkerung auf einen "permanenten Ausnahmezustand" einschwört.

Moskaus Militärs haben nicht wirklich Angst vor dem Abwehrsystem. 10 US-Raketen stehen tausend russische Sprengköpfe für den Ernstfall gegenüber. Auch die Spionage, die der Kreml gegen das Projekt ins Feld führt, ist nicht das Entscheidende. Schon bestehende US-Abhörposten sind laut russischen Militärexperten effektiv genug. Wie immer geht es um den Respekt und die Anerkennung Russlands, das sich mit dem Verlust der Supermachtrolle nicht abfinden kann. Die Einbeziehung der ehemaligen Satelliten, Tschechien und Polen, in den militärischen Einflussbereich der USA setzt der politischen Führung besonders schwer zu. Sie macht die Erfahrung, dass politisches Gewicht mit Petrodollars nicht mitwächst. Umso stärker wirken nostalgische Sowjeterinnerungen nach.

Im Interesse Russlands bleibt zu hoffen, dass der Kreml den Bogen nicht überspannt und nicht in ein neues Wettrüsten einsteigt. Der marode Staat würde das nicht überstehen. Das Schicksal der Sowjetunion, die sich totrüstete und mit Sinken des Ölpreises selbst im Orkus verschwand, sollte der Führung eine Warnung sein. Die Erschaffung von Feindbildern, die Beschwörung der Burgmentalität und die Konstruktion einer nur noch aus Gegnern bestehenden Welt dienen einer verantwortungslosen Kleptokratie im Staatsrock zur Machtsicherung. Sie wird jeden Anlass im Westen nutzen, um den "Ausnahme"- zum Normalzustand zu erheben. KLAUS-HELGE DONATH

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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