Kommentar Türkisches Militär: Ein Vorschlaghammerurteil
Mit der Verurteilung von 326 Militärs ist die Vorherrschaft des Militärs in der Türkei endgültig vorbei. Doch rechtsstaatlichen Maßstäben genügte der Prozess kaum.
E s ist ein Hammerurteil, mit dem das Istanbuler Gericht am Freitagabend die gesamte Türkei in Aufregung versetzte. Insgesamt 326 Soldaten, darunter höchste Generäle, wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie einen Putsch gegen die amtierende Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geplant haben sollen.
Trotz vieler Ungereimtheiten in der Beweislage, trotz massiver Proteste der Verteidiger, die ihre Rechte in dem Massenprozess gegen insgesamt 360 Angeklagte vielfach verletzt sahen, machte das Gericht keinerlei Zugeständnisse: von dreimal lebenslang für die „Putschführer“, dem ehemaligen Chef der Luftwaffe, Chef der Marine und dem Chef der 1. Armee, bis runter zu nicht weniger als 13 Jahre Haftstrafen, schöpfte das Gericht den Strafrahmen voll aus.
Natürlich war der Prozess, nach den angeblichen Putschplänen „Balyoz“, „Vorschlaghammer“ genannt, ein politischer Prozess. Er zeigt, dass die jahrzehntelange Vorherrschaft des Militärs in der Türkei endgültig zu Ende ist.
ist Türkei-Korrespondent der taz.
Doch während die Hälfte der veröffentlichten Meinung im Lande über den Sieg der Demokratie jubelte, ist die andere Hälfte geschockt. Sie spricht nicht von Demokratie sondern von Siegerjustiz und Rache, die nun im Namen der Demokratie exekutiert wird.
Der Grund dafür ist, dass der Balyoz-Prozess, genau wie die anderen noch laufenden Gerichtsverfahren gegen Militärs und weitere vermeintlichen Putschunterstützern, rechtsstaatlichen Kriterien kaum genügen. Es sind Prozesse vor extra eingerichteten Sondergerichten, bei denen die Rechte der Angeklagten stark eingeschränkt sind. Statt in einem sauberen Prozess einem Kreis von Putschisten, den es sicher gab, seine Verschwörung nachzuweisen, werden große Schauprozesse gegen die alte Elite des Landes geführt.
Das nährt die Befürchtung, dass die Türkei vom autoritären Regime der Generäle nicht durch eine demokratische Befreiung sondern durch ein anderes autoritäres Regime, dieses Mal mit islamischen Vorzeichen, abgelöst wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland