Kommentar Türkeipolitik der EU: Die eigenen Leute ignoriert
Der EU fliegt nun ihr zwiespältiger Umgang mit der Türkei um die Ohren. Bundeskanzlerin Merkel ist dafür mitverantwortlich.
E s war keine gute Idee von Kanzlerin Angela Merkel, ihren umstrittenen Flüchtlingsdeal mit der Türkei an die EU-Beitrittsverhandlungen zu koppeln. Beide Themen haben nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun. Bei den Beitrittsgesprächen geht es um europäische Werte, beim Flüchtlingsdeal um deutsche Interessen. Merkel wollte erreichen, dass die Türkei die Grenzen für Flüchtlinge dicht macht – beim EU-Beitritt geht es jedoch um viel mehr.
Wie schlecht beide Stränge der Türkeipolitik zusammenpassen, zeigt sich jetzt, da Präsident Recep Tayyip Erdoğan immer rücksichtsloser auf die Alleinherrschaft zusteuert und die Grundwerte der EU immer unverschämter mit Füßen tritt.
Das Europaparlament will nicht länger tatenlos zusehen und fordert, die Beitrittsverhandlungen einzufrieren. Im EU-Parlament haben deutsche Abgeordnete aller Fraktionen für eine zeitweise Aussetzung gestimmt.
Doch das passt nicht zu Merkels Deal, der wenige Monate vor der Bundestagswahl bedrohlich wackelt. Und so muss nun jede Kritik an Erdoğan und seinem Regime weggedrückt werden – selbst wenn das auf Kosten der Glaubwürdigkeit geht.
Das erste Opfer dessen sind die deutschen Christ- und Sozialdemokraten im Europaparlament, deren Türkeibeschluss zu einer bloßen Meinungsäußerung herabgewürdigt wird. Die Regierenden in Berlin ignorieren die eigenen Leute in Straßburg.
Das zweite Opfer sind die Beziehungen zu EU-Partnern wie Österreich und Belgien, die sich nun ebenfalls gegen eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen ausgesprochen haben. Sie zählen plötzlich weniger als der Burgfriede mit der Türkei.
Das dritte Opfer wird, so steht zu befürchten, die Wahrheit sein. Denn hinter dem Rücken der Öffentlichkeit wird weiter verhandelt – um Visafreiheit und Zollunion. Doch davon sollen wir nichts wissen. Der Merkel-Deal darf nicht scheitern – koste es, was es wolle.
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