Kommentar Tschechiens Parlamentswahl: Sieg des Phänomens Babiš
Andrej Babiš ist Oligarch, arbeitete für die tschechoslowakische Stasi und steht unter Betrugsverdacht. Gute PR machte ihn wählbar.
A ndrej Babiš ist ein Phänomen. Er stammt aus der einstigen kommunistischen Nomenklatura und wurde ein undurchsichtiger Wendegewinner. Als hochgestellter Manager noch in der Tschechoslowakei hat der bauernschlaue Babiš schon lange verstanden, dass man als Unternehmer nur so weit kommt, wie man sich mit der Politik versteht. Mit seiner stürmischen Politkarriere hat er sich seine eigenen Pfründen gesichert. Laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes hat sich Babiš’ Privatvermögen in den letzten vier Jahren verdoppelt.
Das wirklich Phänomenale an Andrej Babiš ist aber, dass er überhaupt gewählt wurde. Vor seinem Mitläufertum als IM Bureš bei der tschechoslowakischen Stasi kann man bestenfalls die Augen verschließen. Aber auch davor, dass Babiš seine politischen Gegner vulgär beschimpft und mithilfe der eigenen Medien zu diskreditieren plant? Davor, dass Babiš glaubt, über dem Gesetz zu stehen und sich öffentliche Gelder erschwindelt?
In seiner Amtszeit als Finanzminister wurden sechs Firmen, die seiner Holding ein Dorn im Auge waren, von der Steuerfahndung liquidiert. Warum gibt jeder dritte Bewohner eines Landes so einem freiwillig noch mehr Macht in die Hand?
Im künftigen Parlament werden neun Parteien vertreten sein. Babis' Partei ANO kam nach Auszählung fast aller Stimmen auf 29,7 Prozent. Im Parlament dürfte sie damit 78 der 200 Sitze erringen. (afp)
Andrej Babiš ist ein perfektes Marketingprodukt, das perfekt zur Nachfrage passt. Mit dem Slogan „Ja, es wird besser“, erstürmte er die politische Bühne. Pünktlich zu einer Zeit, als Tschechien die Folgen der globalen Wirtschaftskrise abzuschütteln begann. Für den Rest sorgte die Marketingmaschinerie: Sie machte Babiš zum Messias des Aufschwungs. Zu einem neuzeitlichen Robin Hood, der den Armen gibt und die korrupten Reichen ihrer gerechten Strafe zuführt. Dass Babiš Wasser predigt und Wein trinkt, übersieht der Wähler dabei geflissentlich.
Die Enthüllungen seien nichts weiter als Schmutzkampagnen, beteuert Babiš immer wieder. Damit kommt er an, die Opferrolle passt zum messianischen Image. Armes Tschechien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier