Kommentar Tennessee Eisenberg: Im Zweifel für die Polizisten
Ein Großteil der Verfahren gegen Beschuldigte in Uniform wird von der Staatsanwaltschaft niedergeschlagen. Unabhängige Ermittler werden schon lange angemahnt.
Z wölf Polizeikugeln, unter unklaren Umständen auf den Studenten Tennessee Eisenberg abgefeuert - doch die Staatsanwaltschaft sieht keinerlei Verdacht einer Straftat. Der Vorfall selbst ist hierzulande zum Glück eine Seltenheit. Das Einstellen von Verfahren gegen tatverdächtige Polizeibeamten aber ist die Regel. Während etwa in Großbritannien, Frankreich oder Portugal unabhängige Kommissionen für Ermittlungen nach polizeilichen Übergriffen verantwortlich sind, bleibt in Deutschland die Polizei auch bei Strafverfahren in eigener Sache zuständig.
Für die beteiligten Polizisten ist die Ausgangslage denkbar günstig: Die Vernehmenden teilen die polizeiliche Perspektive der Vernommenen, sie kennen deren Alltag und Sachzwänge und schätzen die Kollegen als glaubwürdig ein. "Eine unabhängige Kontrolle der Polizei findet in der Bundesrepublik Deutschland nicht statt", resümierte der Menschenrechtsausschuss der UN bereits im Jahr 1996 - und wies damit auch auf ein Problem der juristischen Strukturen hin, das seitdem ungelöst ist.
Vor Gericht kommt ein Fall nur, wenn die Staatsanwaltschaft einwilligt. Klagen gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sind zwar möglich, in der Praxis aber meist aussichtslos. Und als Behörde, die täglich auf die gute Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen ist, ist die Staatsanwaltschaft gegenüber tatverdächtigen Polizeibeamten mitnichten unabhängig. Ein Großteil der Verfahren gegen Beschuldigte in Uniform bleibt daher spätestens auf dem Schreibtisch eines Staatsanwalts liegen.
In Berlin ergab eine parlamentarische Anfrage, dass von jährlich etwa 1.000 Ermittlungsverfahren wegen "Körperverletzung im Amt" satte 98 Prozent eingestellt werden, bevor sie je vor einen Richter kommen - wie nun in Regensburg. Ein Beitrag zur Lösung wäre die Einrichtung von unabhängigen Ermittlungskommissionen. Bürgerrechtler fordern sie seit langem - passiert ist noch nichts.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen