Kommentar Teheran: Jede Legitimation verloren
Die Führung der Islamischen Republik ist an den Punkt gekommen, wo sie sich nur noch auf Waffen und Gewalt stützen kann.
R evolutionsführer Ali Chamenei hat mit seiner Predigt beim Freitagsgebet praktisch alle Türen zugeschlagen, die möglicherweise zu einer Lösung der gegenwärtigen Staatskrise führen könnten. Er hat sich eindeutig vor den angeblich wiedergewählten Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad gestellt und damit klargemacht, dass er keine grundlegenden Reformen akzeptieren und den bisherigen radikalen Kurs der Regierung, auch in der Außenpolitik, fortsetzen will.
Chamenei äußert sich, getrieben von der Arroganz der Macht, höchst widersprüchlich. Einerseits behauptet er: Die 40 Millionen Wähler, die sich an der Wahl beteiligt haben, hätten für den Erhalt des islamischen Staates gestimmt, das heißt für das System der absoluten Herrschaft der Geistlichkeit, an dessen Spitze er steht. Gleichzeitig droht er den Demonstranten Gewalt an, die jetzt ihre Stimme zurückhaben wollen - auch das sind viele Millionen. Angesichts der Lage sind solche Widersprüche aber sekundär.
Die Führung der Islamischen Republik, die ursprünglich aus einer Revolution hervorgegangen ist und die sich auf den Glauben beruft, ist an den Punkt gekommen, wo sie sich nur noch auf Waffen und Gewalt stützen kann. Ihr gegenüber stehen nicht nur Millionen von Gläubigen, die diese Führung und teilweise auch diesen Staat nicht mehr haben wollen. Auch zahlreiche prominente Politiker, die bis vor wenigen Jahren an der Spitze des Staates standen, gehören nun zur breiten Opposition.
Nicht weniger bedeutend ist, dass Chamenei und sein bevorzugter Präsident Ahmadinedschad auch nahezu die Unterstützung der gesamten Instanzen des schiitischen Glaubens verloren haben. Sämtliche Großajatollah sind auf Distanz gegangen, manche unter ihnen haben inzwischen sogar zugunsten der Opposition Stellung bezogen. Gerüchte besagen sogar, dass es selbst unter den Revolutionswächtern bereits Überläufer gibt. Einige Kommandanten sollen verhaftet worden sein.
Mit dieser Entwicklung hat die nun so geschrumpfte Führung sowohl in religiöser Hinsicht als auch in Bezug auf die Unterstützung im Volk vollends ihre Legitimation verloren, sie muss abtreten. Wann sie das tun und wie viele Opfer sie dafür noch in Kauf nehmen wird, kann vermutlich niemand voraussagen. Ein Zurück zur normalen Tagesordnung kann und wird es jedenfalls nicht geben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier