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Kommentar TarifeinheitVorsicht Kollateralschäden!

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Auch wenn der Fluglotsenstreik ausgesetzt wird, die Debatte über eine gesetzliche Absicherung der Tarifeinheit geht weiter. Es droht ein Abbau der Arbeitnehmerrechte.

B ERLIN taz Kaum tut ein Streik empfindlich weh, wie jener der Vorfeldlotsen auf dem Frankfurter Flughafen, wird diskutiert, ob solche Arbeitskämpfe zulässig sind. Es ertönt erneut der Ruf, das Parlament solle den Grundsatz "ein Betrieb – ein Tarifvertrag", die sogenannte Tarifeinheit, per Gesetz festschreiben.

Die Idee dahinter: Kleinere Spartengewerkschaften, die Beschäftigte wie Ärzte, Fluglotsen oder Lokführer auf machtvollen Positionen organisieren, könnten keine Einzelkämpferaktionen mehr durchführen, im Betrieb wäre verlässlicher Ruhe.

Man kann den 200 Vorfeldlotsen durchaus vorwerfen, dass sie egoistisch nur für ihre Belange streiken, und sich nicht mit Mitarbeitern zusammen schließen, die schwächere Verhandlungspositionen haben. Doch die Rufe nach Tarifeinheit sind fahrlässig leichtsinnig. Denn am Ende könnte das Streikrecht insgesamt eingeschränkt werden, die Organisierung in Betrieben beschädigt werden.

Streik ausgesetzt

Die Gewerkschaft der Flugsicherung setzt den Streik am Frankfurter Flughafen aus. Entscheidend sei das schriftliche Gesprächsangebot des Betreibers Fraport gewesen, erklärte Tarifvorstand Markus Siebers am Mittwoch in Frankfurt. Man wolle möglichst am Donnerstag auf Vorstandsebene ohne Vorbedingungen verhandeln. Die streikenden Beschäftigten vom Vorfeld würden noch am Mittwoch ihre Arbeit wieder aufnehmen, wenn die Modalitäten geklärt seien, sagte Siebers.

Juristen haben sich mit den hochkomplizierten Möglichkeiten, die Tarifeinheit per Gesetz vorzuschreiben, seit Mitte 2010 ausführlich auseinander gesetzt. Das Gebot, nur eine Gewerkschaft im Betrieb soll das Sagen haben, nur sie darf streiken, würde in der Praxis zu Rechtsunsicherheiten und Komplikationen führen.

Wie überhaupt grenzt man einen Betrieb bei der Verästelung und Ausgliederung von Unternehmensteilen ab? Wer stellt wie fest, welche Gewerkschaft die mächtigste ist? Sollen die Beschäftigten künftig etwa den Arbeitgebern offen legen, welches Gewerkschaftsbuch sie in der Tasche haben?

Bild: taz
EVA VÖLPEL

ist taz-Redakteurin für Soziales und Arbeitsmarkt im Ressort Inland.

Recht auf Koalitionsfreiheit und Streik

Arbeitnehmer könnten in Folge der undurchsichtigen Gemengelage noch häufiger vom Streik zurückschrecken, denn er könnte per se illegal sein. Auch besteht die Gefahr, dass tariffreie Zonen wachsen: Denn wenn nur noch der Tarifvertrag des Marburger Bundes für die Ärzte in den Krankenhäusern gilt, gehen Pfleger und Krankenschwestern leer aus.

Nicht zuletzt gibt es schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken: Artikel neun des Grundgesetzes schützt das Recht jedes einzelnen auf Koalitionsfreiheit und Streik. Die Entscheidung, in welcher Organisation man sich als Arbeitnehmer im Betrieb für seine Interessen einsetzen will, gehört zu den geschützten Freiheiten.

Soll kleineren Gewerkschaften das Recht entzogen werden, Tarifverträge abzuschließen oder dafür zu streiken, ist das ein massiver Eingriff in das Grundgesetz. Wer also nach dem Gesetzgeber ruft, sollte vorher bedenken, was er damit lostritt. Der Ruf nach Tarifeinheit könnte die Büchse der Pandora öffnen. Einmal mehr, weil in Europa die Zeichen auf Abbau der Arbeitnehmerrechte stehen.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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2 Kommentare

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  • N
    Normalo

    Bevor man zu laut das Hohelied auf die Tarifautonomie dieser kleinen Spartengewerkschaften singt, sollte man sich klar machen, dass die für die Gesamtheit der Arbeitnehmer gravierende Nachteile haben können. Deshalb sind auch einige von ihnen - wie nach eigener Aussage die Gewerkschaft der Flugsicherung - von den Arbeitgebern regelrecht herangezüchtet worden.

     

    Gerade bei Fraport kann man es doch toll beobachten: Das Unternehmen hat 19.500 Mitarbeiter, von denen gerade mal ein paar hundert die ach so betriebswichtigen Stellen in der Flugsicherung bekleiden. WENN diese paar Hanseln streiken, schlottern dem Management die Knie. Wann immer sie es aber nicht tun, können die Bosse vergleichsweise ruhig schlafen.

     

    Mit anderen Worten haben die Arbeitgeber mit den Klein-und-Wichtig-Gewerkschaften eine Möglichkeit, durch hochdotierte, aber in absoluten Zahlen kleinvolumige Spartentarifabschlüsse den Teil ihrer Belegschaft ruhig zu stellen, der einen Streik wirklich gefährlich und teuer machen kann. Das stärkt kolossal den Rücken, wenn dann z. B. ver.di ankommt und für den großen Rest der Mitarbeiter auch gerne einen guten Abschluss aushandeln will.

     

    Natürlich wollen die Arbeitgeber von diesem großen strategischen Vorteil immer genau dann nichts wissen, wenn sich so ein kleiner Haufen gerade mal etwas aufmüpfig gebärdet. Aber das kann man auch als Arbeitskampfrhetorik sehen.

  • S
    Staatsbürger

    Das Prinzip "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft" bildet seit langem nicht mehr die immer wichtiger werdende Identifikation über Statusgruppen ab. Weil die deutschen Gewerkschaften sich überwiegend über Klassenzugehörigkeit und politische (irgendwie sozialdemokratisch) Faktoren identifizieren, sind deren Mitgliederzahlen gesunken, wie auch das Niveau schon immer relativ gering war. Auf der Seite des Tarifsystems bildet das System der Lohnfüherschaft für die Stammbelegeschaften weiterhin die Hauptinstitution, während durch die Hartz-Gesetze die Kommodifizierung der Arbeitnehmer zu Perversionen wie die der Leiharbeit geführt hat. Bei dieser Flexibilität sind Streiks und gewerkschaftliches Engagement nicht mehr leicht durchführbar. Der mittlerweile in der OECD zweitkleinste staatliche Sektor im Verhältnis zur Bevölkerung, hat ebenfalls zur Perversion der Leiharbeit geführt. Wir brauchen also ganz viele Statusgruppengewerkschaften, welche sich über ihre Leistungsfähigkeit und ihre Gruppenzugehörigkeit den entsprechenden Teil vom Kuchen abschneiden. Dann würden wir durch eine steigende Nachfrage auch wieder die Wachstumsraten unserer europäischen Nachabarn erreichen und durch das höhere Lohnniveau den Export nicht mehr über Lohndumping unfair gestalten können und damit die Eurozone destabilisieren.