piwik no script img

Kommentar Tarifabschluss IG MetallMagerkost für die Malocher

Kommentar von Richard Rother

Mehr Lohn, weniger Leiharbeit, keine willkürlichen Befristungen – diese drei Ziele hatte die IG Metall. Erreicht hat sie keines davon, sie scheute den Konflikt.

D rei Ziele hatte die IG Metall vor der diesjährigen Tarifrunde: Die Beschäftigten sollte endlich deutlich mehr Geld in der Tasche haben, das Unwesen der grassierenden Leiharbeit sollte beendet werden, und die willkürliche Befristung von Arbeitsverhältnissen sollte gestoppt werden.

Alle drei Ziele waren lohn- und gesellschaftspolitisch vernünftig – aber erreicht hat sie die stärkste deutsche Gewerkschaft leider nicht, trotz voller Auftragsbücher der Unternehmer. Sie scheute – vielleicht wegen des Schocks möglicher Werksschließungen bei Opel – einen größeren Tarifkonflikt und begnügte sich damit, allererste Schritte zur Erreichung ihrer Ziele gemacht zu haben.

So gibt es erst einmal Magerkost für viele Malocher. 4,3 Prozent mehr Lohn hören sich viel an, aber da es einen Monat lang eine Nullrunde gibt, relativiert sich die stolze Vier vor dem Komma. Noch mehr Probleme hatte die Gewerkschaft, ihre arbeitsmarktpolitischen Forderungen durchzudrücken und damit politische Fehlentscheidungen zu korrigieren.

Richard Rother

ist Redakteur im Ressort Ökologie und Wirtschaft der taz.

Dabei kann man den Versuch gar nicht genug loben. Erinnern wir uns: Die Ausweitung der Leiharbeit und der befristeten Tätigkeit war erst durch die Hartz-IV-Reformen der rot-grünen Bundesregierung möglich geworden. Diese Reformen führten nicht nur zur Ausweitung des Niedriglohnsektors, sondern auch dazu, dass Belegschaften immer mehr unter Druck gerieten. Das wollte die IG Metall ändern.

Das Ergebnis: Leiharbeitern muss erst nach zwei Jahren in einem Betrieb ein Übernahmeangebot gemacht werden. Immerhin, eines soll es künftig nicht mehr geben: ausgelernte Beschäftigte von einem befristeten Job in den nächsten hetzen. Von der Metallbranche können sich viele andere eine Scheibe abschneiden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • HH
    Heike Hofmann

    „Tarifabschluss mit Zeitarbeitsverbänden: Leihbeschäftigte bekommen Branchenzuschläge - Die Lücke schließt sich…“

    Bitte was??!?? Die Lücke tut was??? Jetzt geht es aber los… Ist Euer IG-Metall, DGB u. Co Leihsklavenvertrag nicht ebenfalls RECHTSWIDRIG oder täusche ich mich da!?! Liegt das Einkommen Eurer „Tarif“-Leihsklavenverträge nicht ebenfalls rund 40 Prozent unter dem Gehalt der Stammbeschäftigten, wie es bei den perfiden UN-christlichen Heuchel-Gewerkschaften u. a. ebenso der Fall ist, so dass dito die Equal-Pay-Grundregel auf unverhältnismäßige Weise auch deshalb aufgehoben wird, weil u. a. nicht nach Einsatzbetrieb unterschieden wird. Und gehen diese Tatbestände nicht ebenfalls über die Ermächtigungen hinaus, die der Gesetzgeber den Tarifparteien für eine Abweichung von o.g. Grundregeln gestattet hat…!!??!! Also ehrlich gesagt, ich würde mein Gehalt und mein Recht auf meine zustehende Rente einklagen!

  • N
    NiemandXXL

    was meckern hier eigentlich so viele rum?

    Als Mitarbeiter in einem Betrieb ohne Tarif habe ich in den letzten 5 Jahren immer nur zwischen 0,7 und 1,2 Prozent Gehaltserhöhung bekommen. Dieses Jahr waren es 0,7%. Das Börsennotierte Unternehmen hat auch im letzten Jahr guten Gewinn gemacht.

    Ich selbst bin Mitglied der IG Metall. Würden sich auch meine Kollegen organisieren hätten wir locker das 4 fache jedes Jahr.

  • AB
    Aufmerksamer Beobachter

    Liebe Leute,

     

    der taz Kommentar ist jenseits all dessen, was diejenigen dazu geschrieben haben, die sich wenigstens ein bisschen mit der Sache auskennen. 4,3 Prozent Plus sind der höchste Abschluss seit 20 Jahren. Die Vereinbarungen zu Leiharbeit und Übernahme sind so, dass zwei extreme Tabus der Arbeitgeber geknackt wurden. In den Vereinbarungen sind eine ganze Reihe verbindlicher Ansprüche geregelt. Übernahme unbefristet ist die Regel, begründete Ausnahmen gab es immer schon - und die sind ja auch vernünftig. Ein bisschen mehr Sachkenntnis und etwas Fairness gegenüber IGM wäre nicht schlecht. Von diesem Wortgetöse hier wird die Situation der Leiharbeitnehmer jedenfalls nicht besser!

  • N
    Nadi

    Ich würde mal tippen, dass die IGM am Verhandlungstisch die Azubis und Leiharbeiter gegen ein paar Prozent hätte tauschen können, aber: Wenn sie dann mit 2,0 Prozent zu den Stammbelegschaften gelaufen wären, hätten sie ne kalte Dusche bekommen.

    Und von den Leiharbeitern beschwert sich niemand, da sind nur 40 oder 50 Tsd. drinnen und die sagen meist eh nix. Nur die Azubis dürfen sich ärgern bzw. freuen, hängt eben davon ab, ob die Übernahmeregelung bei ihnen persönlich greifft oder ob sie zu denen gehören, die eben doch gehen müssen. Politisch hat die Jugend aber keinen Machteinfluss beim Vorstand, deswegen ist es auch egal. In 13 Monaten darf die Organisation nochmals probieren, wie ernst es ihnen mit den zahlreichen miesen Beschäftigungsformen wirklich ist.

    Wahrscheinlich sparen die Unternehmen durch diese Ausbeutung drastisch mehr, als man vermuten würde, denn 4,3 Prozent ist ne ordentliche Summe und anders wäre sie garantiert nicht zustande gekommen, obwohl ja Schäuble bereits angedeutet hatte, dass er einen hohen Abschluss gut fände ... aber auch der hat am Ende keine echte Macht in solchen Verhandlungen.

  • B
    brikan

    Gewerkschaften in Deutschland wo sind die denn???

    Niemand vertritt mehr die Rechte der AN.Nur noch ein durchwurschteln.Es treten immer mehr AN.aus.Armes Deutschland.

  • DQ
    Der Querulant

    Außer Spesen nichts gewesen. Das Versagen der Gewerkschaften gleicht dem Versagen der Politik, dem Versagen unserer selbsternannten Eliten, Experten und Leistungsträger generell.

     

    Leider gleicht dieses Versagen auch dem der Mehrheit unserer Wahlberechtigten, die die Versager auch weiterhin wählen und bezahlen. Was soll man dazu noch groß sagen?

  • F
    Frank

    Der Kommentator ist zu nett zur IG Metall. Die letzten langen Streiks sind lange, lange her. Die Streikkasse war gut gefüllt, die Motivation war auch da, alleine die Führung hatte Angst vor der eigenen Courage. Denn es war doch klar, dass in Baden Württemberg die Arbeitgeber mit dem Geld eher kommen als in NRW. Und deswegen hat die Gewerkschaft auch hier eingeschlagen, obwohl die Leiharbeitssache sehr schlecht gelaufen ist.

     

    In den nächsten Jahren gehen die Zugänge auf den Arbeitsmarkt zurück. In der Metal und Elektroindsutrie brauchen die Arbeitgeber nur ein paar Statistiken und einen Taschenrechner. Dann wissen sie, wann sie mit der IG Metall darüber eine Vereinbarung schließen: Wenn sie die Leute brauchen - so oder so. Und genauso ist die Vereinbarung mit den Azubis gelaufen: Südwestmetall kann momentan sowieso kaum noch Jugendliche ziehen lassen, also unterschreiben sie eine Regelung, die ihnen sogar noch einen Ausstieg zusichert und finden sich ziemlich nett.

     

    Also: 4,3 Prozent mehr Geld.

     

    Für den Rest bleibt der Gesetzgeber zuständig, sprich der Bundestag und die Fraktionen. Wer eine Änderung will, nervt seine Abgeordneten und geht zur Wahl. Solange der Staat Gehälter von Leiharbeitsfirmen, die bei Großunternehmen arbeiten, so bezuschussen muss, dass die Arbeitnehmer dort überhaupt arbeiten können, also auf ein Existenzminimum kommen, ist die Situation drammatisch und gehört geändert - mit oder ohne IG Metal und ihre tolle Verhandlungsführung.

     

    Nur den PR-Effekt muss man ihnen nehmen: Sie sind nichts anderes als verbalradikaler Ankündiger gewesen. Und in den anderen Tarifbezirken stehen dann im Kleingedruckten der Tarifverträge weitere Öffnungen, Auslassungen und Vermeidungsparagraphen, denn an der einen oder anderen Stelle sind 4,3 Prozent dann viel Geld, da braucht man Sparschweine, sprich Azubis, Leiharbeiter und Sachverträge, die aber Arbeitsstunden faktorieren. Und die IG Metall wird das alles unterzeichnen und sich dafür feiern lassen, so wie hier.