Kommentar Tarifabschlüsse: Wenn Prekäres hoffähig wird
Für Leiharbeiter ist der neue Tarifvertrag ein Fortschritt, allerdings führt die Vereinbarung auch zu einer breiteren Akzeptanz der prekären Beschäftigungsform.
D ie Hälfte des aktuellen Beschäftigungszuwachses speist sich aus der Zeitarbeit, Zeitarbeiter mussten als Erste gehen in der Wirtschaftskrise und dürfen jetzt als Erste wiederkommen. Dass jetzt die Tarifpartner in der Stahlindustrie den ersten flächendeckenden Abschluss machten, in dem Leiharbeiter in der Bezahlung mit der Stammbelegschaft annähernd gleichgestellt werden, zeigt, wie viel sich Unternehmen ihre Flexibilität kosten lassen.
Bei gleichem Arbeitnehmerbrutto zahlen Unternehmen im Vergleich zur Stammbelegschaft Aufschläge von einem Drittel und mehr an die Leiharbeitsfirmen als Stundensatz. Zeitarbeit ist also nicht direkt billig - aber indirekt eben schon. Die Unternehmen sparen durch diese Beschäftigungsform ganz andere, gravierende Kosten: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei Urlaub und Feiertagen, Abfindungen bei Kündigungen, Rekrutierungskosten bei Neubeschäftigungen. Genau das, was den Arbeitnehmern heute Sicherheit gibt, ist den Arbeitgebern eine Unfreiheit, aus der sie sich herauskaufen.
Die neue Vereinbarung im Stahltarifvertrag ist ein Fortschritt für die Leiharbeiter - gleichzeitig aber ebnet sie auch einer breiteren Akzeptanz dieser prekären Beschäftigungsform den Weg. Unternehmen in der Stahlbranche, aber auch Firmen wie etwa BMW gewährten bisher schon eine etwa gleichwertige Stundenentlohnung von Stamm- und Leihbeschäftigten. Dies helfe, den Betriebsfrieden zu wahren, heißt es dort. Doch höhere Stundensätze wollen und können sich nicht alle Betriebe leisten.
Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.
Die Arbeitgeber in der Metallbranche haben bereits signalisiert, dass sie den Stahl-Abschluss nicht in der Fläche übernehmen wollen, weil dies für viele Unternehmen zu teuer wäre. Für diese Leihbeschäftigten gelten weiter die niedrigen Stundenlöhne aus dem Zeitarbeitstarifvertrag. Damit entwickeln sich in der Leiharbeit unterschiedliche Klassen. Es wäre gut, wenn andere Branchen dem Stahl-Beispiel folgten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!