Kommentar Tabuisierung der Linken: Grüne Regression
Der Kollisionskurs gegen die Linke soll Selbstbewusstsein beweisen. Doch die Ausgrenzung der Repräsentanten der Hartz-IV-Empfänger lässt die Ökopartei wie eine grüne FDP wirken.
Ulrike Herrmann ist Redakteurin für Wirtschaftspolitik der taz.
Hätten die Grünen die Wahl, würden sie am liebsten nur mit der SPD koalieren. Tatsächlich scheinen die beiden Parteien sehr gut zueinander zu passen. Programmatisch wie taktisch neigen viele Grüne und Sozialdemokraten jedenfalls zu denselben Fehlern: Erst hat man gemeinsam Hartz IV erfunden und damit den Erfolg der Linkspartei erst möglich gemacht. Und genau wie SPD-Chef Kurt Beck will nun auch die Grünen-Spitze um Fritz Kuhn die Linkspartei am liebsten ignorieren: bloß keine Koalition in den nächsten Jahren!
Die Linkspartei kann sich freuen. Es wird ihr weitere Protestwähler zutreiben, wenn sie in dieser Verbannung gehalten wird. In gewisser Weise handeln die grünen Realpolitiker allerdings nur konsequent: Hartz IV war ein Programm der sozialen Ausgrenzung. Was einst die Langzeitarbeitslosen traf, wird nun bei ihren Repräsentanten politisch fortgesetzt.
Dieser Kollisionskurs gegen die Linke soll offenbar grünes Selbstbewusstsein demonstrieren. Doch was wie eine Geste der Macht daherkommt, führt direkt in die Ohnmacht. Taktisch ist in einem Fünfparteiensystem sowieso unmittelbar einzusehen, dass die Grünen nicht ausschließlich mit der SPD koalieren können, falls ihre Ambitionen weiter gefasst sein sollten, als nur den Umweltsenator im Minibundesland Bremen zu benennen.
Das eigentliche Problem aber stellt sich für die Grünen auf programmatischer Ebene: Die Grünen geraten in eine moralische Glaubwürdigkeitsfalle, wenn sie die Linke tabuisieren. Das Thema Verteilungsgerechtigkeit beschäftigt nämlich nicht nur Exsozialisten, sondern treibt inzwischen die Mehrheit der Gesellschaft um. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie nicht wie eine grüne FDP wirken. Dann wären sie überflüssig.
Es ist paradox: Die Grünen müssen sich für die Linken öffnen, wenn sie sich auch der CDU und der FDP annähern wollen. Allein in dieser Balance wird glaubhaft, dass sie eine Partei der ausgleichenden Mitte mit einem innovativen Profil sind. Sonst wirken die Grünen bald nur noch wie ein bürgerlicher Appendix: ein Mehrheitsbeschaffer, für die CDU in Hamburg oder die FDP in Hessen.
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