Kommentar Sudans Staatschef auf Türkei-Visite: Völkermord als Eintrittskarte
Die Türkei will nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat werden. Dafür umwirbt es die afrikanischen Staaten und lädt sogar den "Schlächter von Darfur" nach Istanbul ein!
Jürgen Gottschlich arbeitet als Türkei-Korrespondent der taz in Istanbul.
Es gibt zurzeit in der Türkei eine auffällige internationale Schurkendichte. Erst verbringt der syrische Potentat Baschir al-Assad seinen Urlaub in Bodrum, dann trifft der Iraner Ahmedinedschad in Istanbul mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül zusammen und nun auch noch der sudanesische Darfur-Schlächter Omar el Beshir als Staatsgast im Rahmen eines Afrikagipfels, ebenfalls in Istanbul. Die Häufung der Besuche von der Achse des Bösen ist kein Zufall, allerdings fällt der sudanesische Gast aus dem Rahmen.
Die Visite des sudanesischen Präsidenten, der vielleicht demnächst vor dem Internationalen Gerichtshof wegen der Verbrechen seiner Regierung in Darfur angeklagt wird, ist eher ein Kollateralschaden als das Ergebnis einer aktiven türkischen Politik im Sudan. Die Türkei will als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat gewählt werden und braucht dafür möglichst viele afrikanische Stimmen. Man hat sich in Ankara deswegen über die Bedenken der Verbündeten hinweggesetzt, auch weil das Thema Darfur in der Türkei kaum eine Rolle spielt oder Kritik an el Beshir als übertrieben gilt, weil sie wieder einmal gegen ein islamisches Land gerichtet ist. Eine Auslieferung el Beshirs kommt auch nicht in Frage, weil die Türkei das Gesetz zur Errichtung eines Internationalen Gerichtshofs nicht unterzeichnet hat.
Ankara sieht das als realpolitische Interessenpolitik. Und die wird nur verhalten kritisiert, weil auch andere Regierungen ihre eigenen Leichen im Keller haben. Angefangen von den USA, die die Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs genauso wenig unterstützt haben wie die Türkei, bis hin zu Deutschland, wo auch usbekische Minister trotz des Massakers in Andischan noch unbehindert urlauben können - weil die Bundeswehr ihre Air Base in Usbekistan weiter nutzen will. Das zeigt, dass die Idee eines Internationalen Gerichtshofs noch lange brauchen wird, bis sie sich durchsetzen kann. Auch wenn es lange gedauert hat, bis ein Radovan Karadzic vor das Gericht in Den Haag gebracht wurde, ganz sicher kann sich auch ein Omar el Beshir nicht mehr sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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