Kommentar "Stuttgart21"-Proteste: Obama im Schwabenland
Der Staat hat laut einer Studie bei der Stärkung der "Stuttgart21"-Gegnerschaft kräftig mitmobilisiert. Daraus können Politiker lernen.
D er Staat, so ergibt eine Studie zur Verfasstheit des Schwabenaufstands in Stuttgart, hat bei der Stärkung seiner Gegnerschaft kräftig mitmobilisiert. Das zeigen zwei signifikante Wegmarken, die Wissenschaftler jetzt ermittelt haben. Denn es waren die verantwortlichen Politiker selbst, die den Sand ins Getriebe der Repräsentativdemokratie streuten, als sie 2007 mit allen Mitteln den Bürgerentscheid über das Bauprojekt verhinderten, den 67.000 Stuttgarter wollten. Rund ein Drittel derjenigen, die heute auf die Straße gehen, wurden dadurch erst mobilisiert.
Und noch ein zweiter Frustrationsschub ist offensichtlich. Als die Polizei am 30. September mit aller Macht zuschlug, zerstörte sie auch noch das restliche Vertrauen in die Staatsgewalt. Beides zeigt: Nicht zu spät aufgewachte Demo-Heinis sind zu kritisieren, sondern staatliches Fehlverhalten, das empirisch nachweisbare Folgen hat. Immer wenn der Staat auf Macker macht, stärkt das - zum Glück - den zivilgesellschaftlichen Protest. Daraus können Politiker lernen.
Wo - wie in Stuttgart - 90 Prozent des Mitte-links-Milieus zum zivilen Ungehorsam politisiert werden, da muss dieses Obrigkeitsagieren zum Strukturproblem geworden sein.
Martin Kaul ist taz-Redakteur mit dem Spezialgebiet soziale Bewegungen.
Es wird deshalb nicht leicht für jene Parteien, die nach der kommenden Landtagswahl in Baden-Württemberg die Regierungsverantwortung übernehmen. Denn die Ehrenrettung ihrer hochgelobten Repräsentativdemokratie wird nicht ohne echte direktdemokratische Elemente auskommen. Mehr noch: Sie wird eine völlig neue Partizipationsvision entwerfen müssen, die aus den Fehlern der Vergangenheit lernt. Das birgt aber auch Potenzial: Wer diese Vision einer neuen politischen Kultur nun entwerfen kann, ist der Obama im Schwabenland. Und darauf warten doch alle schon lange.
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